29.12.2023
im Interview mit Simon Poelchau (TAZ)

Rudolf Hickel im Interview: Mehrfachkrise fordert 2024 heraus!

Stark gekürzte Fassung in der TAZ vom 29.12.2023:

____________

Taz: Herr Hickel, die Konjunktur steht auf der Kippe, kurz vor Jahresende löste das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse eine der größten Haushaltskrisen der Nachkriegsgeschichte aus, die nun vorerst gelöst scheint. Wie zuversichtlich sind Sie für das kommende Jahr?

Rudolf Hickel: Nach den derzeitigen Prognosen bewegt sich die Wirtschaft um die Nulllinie allerdings mit dem Risiko, ins Minus abzugleiten. Durch die erfolgreiche Tarifpolitik der Gewerkschaften (Tarifverdienste steigen laut DIW nach 4,2% in 2023 erneut in 2024 um 4,4%) konnten zumindest Kaufkraftverluste durch die Inflation gebremst werden. Abgesehen von den Mehrfachkrisen wirken derzeit zwei Krisentreiber: Die Geldpolitik hat ohne großen Einfluss auf die Inflation durch höhere Finanzierungskosten öffentliche und private Investitionen, vor allem auch den Wohnungsbau belastet. Hinzu kommt die restriktive Finanzpolitik mit der Rückkehr zur investitionsfeindlichen Schuldenbremse, zu der das Karlsruher Urteil die Politik gezwungen hat.

Taz: Wie wirken die Haushaltskürzungen infolge des Schuldenbremse-Urteils auf die Konjunktur?

Rudolf Hickel: Die Ampel-Koalition muss für nächstes Jahr eine Finanzierungslücke von fast 30 Milliarden Euro schließen. Die Berechnung des Instituts für Makroökonomie und Strukturwandel zeigt: Im kommenden Jahr ist nach dem derzeitigen Stand der nachgelegten Haushaltsplanung mit einem gesamtwirtschaftlichen Produktionsverlust von 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu rechnen. Dabei bereiten mir die politisch geplanten Preiserhöhungen im Bereich der Energie große Sorgen.

Taz: Warum?

Rudolf Hickel: Was die Europäische Zentralbank bis heute nicht begreifen will, es ist nicht die restriktive Geldpolitik, sondern es sind Energiepreise, die die Inflationsdynamik bewegen. Politik hat zu Recht gegen die sozialen und ökonomischen Folgen gesteuert. Das nun beschlossene vorzeitige Auslaufen der Strom- und Gaspreis- bremse sowie die Erhöhung des CO2-Preises von derzeit 30 auf 45 Euro pro Tonne ausgestoßenes CO2 wird zu einem Wiederanstieg wichtiger Energiepreise führen. Gleichzeitig fehlt dafür der soziale Ausgleich in Form eines Klimageldes, wie es die Ampel-Koalition eigentlich versprochen hat.

Taz: Die Koalition verspricht nun, dass auch mit dem neuen Haushalt 2024 in den Klimaschutz investiert und soziale Einschnitte vermieden werden können. Glauben Sie das?

Rudolf Hickel: Die Haushaltsplanung entpuppt sich unter dem Druck der Rückkehr zur engstirnigen Schuldenbremse im Rhythmus der Einjährigkeit als Vabanque-Spiel. Bei allen Streitereien der Ampelparteien ist doch klar: Es wird massive Einschnitte bei den dringlichen Investitionen in den ökologischen Umbau geben. Vor allem ist die Planungssicherheit durch den bis 2027 angelegten „Klima- und Transformationsfonds“ durch das Verbot von Kreditermächtigungen auf Abruf weggefallen. Jetzt muss im jeweiligen Jahr aus dem regulären Haushalt die Finanzierung gesichert werden. Und das bei Verzicht auf Steuererhöhungen bei den ökonomisch Starken und Vermögenden!  Diese Planungsunsicherheit belastet übrigens die Unternehmen bei ihren Investitionen. Ein Beispiel: Die für den ökologischen Umbau noch nicht genehmigten Subventionen zum Umbau von der fossilen zur grünen Stahlproduktion müssen jetzt aus dem regulären Haushalt finanziert werden. So konnte gerade eine Zusage mit 2,5 Mrd. € für die Stahlindustrie im Saarland durchgesetzt werden. Doch, woher die Finanzmittel kommen, ist ungewiss. Dabei wäre es sinnvoll, per Kreditfinanzierung über mehrere Jahre das Erbe einer besseren Umwelt für nachfolgende Generationen in diesem wichtigen Produktionsbereich zu erzeugen.

Taz: In der Klimawissenschaft ist derzeit viel von Kipppunkten die Rede. Gibt es auch ökonomische Kipppunkte, die in Deutschland drohen, also Sachen, die 2024 angegangen werden müssen, weil es ansonsten zu spät ist?

Rudolf Hickel: Die ökologische Transformation werden wir mit den vorgegebenen Haushaltsmitteln nicht bewerkstelligen können. Insofern wird das kommende Jahr die Wahrscheinlichkeit weiterer Kipppunkte erhöhen. Die Kippunkte zu vermeiden, ist heute die Megaaufgabe einer verantwortungsvollen Finanz-, aber auch Geldpolitik. Durchaus im Sinne der „schöpferischen Zerstörung“ nach Schumpeter geht es darum, durch den Ausstieg aus dem bisherigen, scheinbaren Wohlstand auf fossiler Basis den ökologisch nachhaltigen Wohlstand zu schaffen. Da wird auch kurzfristig die politisch gewollte Erhöhung der Energiepreise zum Problem.

Taz: Inwiefern ist das ein Problem?

Rudolf Hickel: Die Abschaffung der politisch finanzierten Bremsen für Energiepreise belastet vor allem den privaten Konsum bis in den mittleren Einkommensbereich. Auch die Unternehmen haben Probleme, wegen der immer noch hohen Energiepreise diesen Kostenblock zu finanzieren. Sie sind oftmals gezwungen, die dagegen gerichteten klimapolitisch notwendigen Investitionen auf die lange Bank zu schieben. Deshalb müssen für den ökologischen Umbau fiskalische Brücken zum neuen Ufer zu gebaut werden.

Taz: Vor einigen Wochen wurde noch ein Brückenstrompreis gefordert, der den Unternehmen bei der energetischen Transformation eigentlich Planungssicherheit geben sollte.

Rudolf Hickel: Die Einführung eines Brückenstrompreises für die besonders belasteten Unternehmen ist auch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedroht. Wenn dieser nicht kommt, dann wird der gesamte Umbauprozess der energieintensiven Industrie gefährdet. Mir ist klar, das ist eine sektorspezifische, allerdings zeitlich befristete Subvention. Übrigens wird diese Maßnahme durch die protektionistische Abwerbung aus den USA über den „Reduction Inflation Act“ unvermeidbar. Ohne den staatlich unterstützten ökologischen Umbau würde die hochwertige Industrie verschwinden. Wie die Entwicklung des Umbaus zum Green Steel heute auch belegt, hier werden neue Produktionsanlagen, die exportiert werden können, geschaffen. Dafür brauchen die Unternehmen im Übergang einen Strompreis, mit dem sie gegen die Krise planen können. Und es gibt noch ein massives Problem für den ökologischen Umbau.

Taz: Welches Problem ist das?

Rudolf Hickel: Eine sich selbst überlassene ökologische Transformation wirkt sozial ungerecht. Wie aktuelle Maßnahmen zeigen, wird die Akzeptanz mangels sozialer Sensibilität bedroht. Es braucht dringend einen sozialen Ausgleich für die Klimaschutzmaß- nahmen. Das steht ja im Prinzip für den Pfad der CO2-Abgabenerhöhung mit dem Instrument des Klimageldes im Koalitionsvertrag der Ampel. Statt einer erneuten Verschiebung muss im neuen Jahr ein Klimageld im Umfang von etwa 140 € an alle ausbezahlt werden. Die ökonomisch relativ größere Entlastung konzentriert sich bei denjenigen, die über wenig Einkommen verfügen und etwa weniger Benzin nutzen.

Taz: Gleichzeitig fällt zum Jahreswechsel die Kaufprämie für Elektroautos weg. Ist das richtig?

Rudolf Hickel: Grundsätzlich sind sozial undifferenzierte Kaufprämien für Elektroautos kritisch zu sehen. Aber der nun beschlossene Wegfall trifft vor allem Haushalte mit mittleren und niedrigen Einkommen. Das wird vor allem den Absatz von kleineren Fahrzeugen aus deutscher Produktion reduzieren, während die Nachfrage nach großen Elektrofahrzeugen vermutlich kaum belastet wird. Übrigens werden durch den Wegfall der Zuschüsse Importe vergleichsweise kleiner und preiswerterer E-Autos aus China in den deutschen Markt geflutet.

Taz: Gibt der Wegfall der Kaufprämie der deutschen Automobilindustrie den Rest?

Rudolf Hickel: Ja, die gegenwärtige Rezession wird vor allem durch die schwächelnde Automobilindustrie getrieben.  Diese Krise ist selbsterzeugt. Sie hat mit dem Umbau zur Elektromobilität viel zu spät begonnen und sieht sich jetzt mit der preisgünstigen Konkurrenz aus China in Deutschland und auf den Weltmärkten konfrontiert. Die deutschen Autobauer müssen also in der breiten Masse konkurrenzfähiger werden und sollten sich nicht mehr nur auf teure, große Modelle konzentrieren. Insofern könnten nach sozialen Kriterien gestaffelte Zuschüsse, von denen vor allem Pendler mit kleinen Pkw profitieren würden, durchaus der Branche helfen.

Taz: Kann die Automobilbranche überhaupt noch gerettet werden?

Rudolf Hickel: Die deutsche Automobilbranche kann sich mittelfristig durchaus wegen ihres Innovationspotenzials aus der Krise befreien. Das Tal der Tränen wird aber noch lange andauern.

Taz: Es steht 2024 also vieles an. Wie können all diese Aufgaben gemeistert werden?

Rudolf Hickel: Erstens muss das prinzipielle Verbot kreditfinanzierter öffentlicher Investitionen weg. Die zu erwartenden Folgen des politisch umgesetzten Urteils aus Karlsruhe werden zum Beweis für die Kritik an einer engstirnig ausgelegten Schuldenbremse: Die restriktive Finanzpolitik belastet die Konjunktur und bremst öffentliche Investitionen in die Instandhaltung und in die Zukunft aus. Dabei steht diese Schrumpfpolitik im Widerspruch zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom April 2021. Dort wird festgehalten: Wer heute auf den CO2-Abbau verzichtet, der hat die Einschränkung der Freiheitsrechte der nachfolgenden Generationen durch Dürren, Flächenbrände und Überflutungen zu verantworten. Politik muss der Generationengerechtigkeit dienen.

Taz: Ist eine Reform der Schuldenbremse im Jahr 2024 überhaupt realistisch? Schließlich bedarf es dafür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag.

Rudolf Hickel: Wegen der Mehrheitsverhältnisse ist damit nicht zu rechnen. Das Jahr 2024 wird jedoch wegen der Krisenfolgen durch die Schrumpfpolitik erneut die Notwendigkeit belegen, sich endlich von der engstirnigen Einjahres-Schuldenbremse zu verabschieden. Um Schlimmstes zu verhindern, wird im neuen Jahr der Rückgriff auf die „außerordentliche Notlage“ und damit der Kreditfinanzierung sicherlich unvermeidbar. Eine Alternative wäre, vergleichbar dem seit Juni 2022 in das Grundgesetz eingeführten „Sondervermögen Bundeswehr“ mit 100 Mrd. € (Art. 87 a Abs. 1 GG) einen „Klima-Fonds“ mit einem Kreditvolumen von bis zu 500 Mrd. € für die kommenden 10 Jahre einzurichten. Dazu wäre allerdings auch eine zweidrittel Mehrheit im Deutschen Bundestag erforderlich.

Veröffentlichungen unserer Mitglieder
Aktuelles aus der AG Alternative Wirtschaftspolitik