18.11.2024
Rudolf Hickel

Grüner Stahl – Treiber der ökologischen Transformation

Staatlich geförderter Abschied von der bisherigen Produktionsweise

gekürzte Fassung in der „Frankfurter Rundschau“ vom 8.11.2024

Der Widerspruch könnte kaum größer sein: Einerseits zerstört die sich austo­bende Umweltkrise unübersehbar die Lebens- und Produktionsverhältnisse. Andererseits nimmt der breite Konsens, dagegen vorzugehen, ab. Die zerstörerisch wirkende Klimakrise lässt jedoch keine Verzögerungen der sozial begleite­ten ökologischen Transformation zu. Erforderlich ist vielmehr eine Intensi­vierung zur Klimarettung vor allem durch die Dekarbonisierung des Wirtschaf­tens.  Durch die in den letzten Jahren gestiegenen sozialen Belastungen infolge der Klimapolitik verloren gegangene Akzeptanz kann nur durch ein Klimageld zur sozialen Abfederung zurückgewonnen werden.

Neben der CO 2- Bepreisung, die dem Markt die Kosten der Schädigung des Kli­mas signalisiert, steht die Transformation der Produktionswirtschaft im Mittelpunkt. Denn unvermeidbar ist der Abbau bisher sicher geglaubter Arbeitsplätze in der fossilen Massenproduktion. Die Ant­wort auf die verständlichen Ängste der betroffenen Beschäftigten heißt: Mit ei­nem gigantischen Strukturwandel zukunftsfähige Produkte und Produktions­prozesse als Basis des nachhaltigen Wohlstands schaffen. Dieser gestaltete Aus­stieg aus der fossilen hin zur Entfaltung grüner Produktion erinnert an das von Joseph A. Schumpeter geprägte Bild von der „schöpferischen Zerstörung“.  Alte Strukturen werden sozial begleitet demontiert und neue, künftig nachhaltige Produkte und Produktionsverfahren geschaffen.

Ein epochales Beispiel für diesen Ausstieg aus der klimaschädlich fossilen in die nachhaltige Produktion bietet in Deutsch­land die Stahlindustrie. Einerseits ist die Stahlindustrie das Rückgrat der Volks­wirtschaft, weil Stahl in den Wertschöpfungsketten nahezu aller Güter des All­tags gebraucht wird. Über 2500 Sorten - vom Grobblech bis zum Feindraht - werden produziert. Andererseits belastet jedoch die Stahlproduktion durch den Einsatz von Kohle jährlich die Umwelt mit 50-55 Mio. Tonnen CO2. Das sind mehr als 30 % aller Industrieemissionen und 7 % des Gesamtausstoßes in Deutschland. Muss für die Rettung des Klimas die Stahlproduktion abgeschafft werden? Nein, die deutsche Stahlindustrie ist erfolgreich auf dem Weg in eine ökologisch verträgliche Produktion: Als grüner Stahl bleibt dieser der Werkstoff der Zukunft. An die Stelle des Kohlehochofens mit dem CO2-Ausstoß tritt im neuen integrierten Stahlwerk der Zukunft die emissionsfreie Direktreduktionsanlage (DRI). In der 140 Meter hohen Eisenreduktionsanlagen wird mit Wasserstoff das Eisenerz zum Eisenschwamm. In den Elektrolichtbogenöfen kommt dieser zur Erzeu­gung von Brammen zum Einsatz. Allerdings handelt es sich nur dann um grünen Stahl, wenn die immense Menge an Energie, die zur Erzeugung des Wasser­stoffs eingesetzt wird, auf erneuerbaren Quellen beruht.

Es gibt viele Risiken und Unwägbarkeiten: Längere Zeit wird ausreichender und preiswerter Wasserstoff, der in Elektroanalyse-Anlagen mit hohem Energieauf­wand erzeugt wird, fehlen: Importe und Pipelineverteiler-Systeme sind erforderlich. Im Übergang wird Erdgas eingesetzt werden müssen. Auch steigt der Energiebe­darf durch den Wegfall des eigen erzeugten Stroms aus der Abwärme der Koh­lehochöfen sowie durch die stromintensiven Elektrolichtbogenöfen zur Erzeu­gung von Rohstahl. Daher kommt den Strompreisen in der Transformationsphase große Bedeutung zu. Schließlich wird in einer Übergangsphase der einzelwirt­schaftlich kalkulierte Stahlpreis erst einmal steigen. Gegenzurechnen sind je­doch die immer stärker sinkenden gesellschaftlichen Kosten durch die zurück­gehende Klimabelastung. So lange bei den Importen durch billige Preise aller­dings ohne verrechnete hohe CO2-Kosten ein ökologisches Dumping droht, sind  entsprechende Grenzausgleichsabgaben unvermeidbar.

Grüner Stahl lohnt sich nicht nur wegen der CO2-Reduktion bei der Produktion mit Wasserstoff.  Stahl lässt sich bis zu 100 Prozent wiederverwenden. Aus ei­ner Tonne Stahl können nach sechsmaligem Recycling 4 Tonnen neuer Stahl produziert werden. Denn am Ende der neuen Produktionsroute steht der Elekt­rolichtbogenofen, der neben Eisenschwamm Stahlschrott in neues Roheisen verwandelt. Grüner Stahl wird zum Zentrum einer Kreislaufwirtschaft. Neue Ver­bünde der Stahlindustrie mit Rohstoff- Recycling-Firmen zeichnen sich ab.

Mit dem komplett realisierten Green Steel würde am Ende in Deutschland der derzeitige Ausstoß an CO2 mit über 50 Mio. Tonnen auf null schrumpfen. Allein dieser Beitrag zur Senkung von gesamtgesellschaftlichen Klimakosten rechtfer­tigt für die längere Umbauphase staatliche Hilfen. Denn klar ist auch, unter dem Regime der Konkurrenzwirtschaft mit einer einzelwirtschaftlich kurz­fristigen Renditemaximierung lässt sich diese epochale Transformation nicht rea­lisieren. Derzeit werden die vier großen deutschen Stahlunternehmen für die erste Stufe von insge­samt 7 Mrd. € mit Zustimmung der EU finanziell durch den Bund zusammen mit den betroffenen Ländern unterstützt. Das ist kein, wie marktfundamentalistisch behauptet wird, „Irrweg“. Der Staat wird dadurch nicht zum (inkompetenten) Unternehmer. Die Dimension der Klimakatastrophe macht neue Kooperationsmo­delle zwischen dem Staat mit der Rahmenfinanzierung und den ökonomisch-technologisch eigenständig handelnden Unternehmen notwendig. Zum Unter­nehmensmodell gehört, wie die bisherigen Erfahrungen belegen, eine Beteili­gung der Beschäftigten im Rahmen der Montan-Mitbestimmung.  

 

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