18.12.2024
Uwe Foullong

Aus der Geschichte lernen: Antifaschistische Wirtschaftspolitik gegen Rechtsextremismus

Der Zentrumspolitiker Heinrich Brüning führte das erste Präsidialkabinett der Weimarer Republik in den Jahren 1930 bis 1931. Mit Notverordnungen setzte er eine äußerst strenge Sparpolitik durch. Die Weltwirtschaftskrise hat Brüning damit drastisch befeuert. Die Nationalsozialisten profitierten von der Verelendung der Bevölkerung und übernahmen schließlich im Januar 1933 die Macht.

Und heute? Corona, Krieg, Inflation, Migration, Klimakrise und jetzt noch eine Wirtschaftskrise verunsichern viele Menschen im Land. Die rechtsextreme AfD verbucht Zulauf. Sie will die Macht im Staat erobern. Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins. Aber der Zusammenhang zwischen Krisen einerseits und Erstarken des Faschismus anderseits ist historisch belegt. Und so erleben wir in diesen Multikrisenzeiten eine rechtsextreme Partei, die mit Ausgrenzungen von Minderheiten durch Hass und Hetze, einem Kulturkampf gegen eine freie und soziale Gesellschaft sowie mit der Abwehr von Migrant:innen ihre Macht ausbauen und die Demokratie abschaffen will. Die demokratische, liberale und soziale Zivilgesellschaft steht vor der Frage, wie man den Zulauf zur AfD stoppen kann. Die bisherigen Regierungsparteien der letzten zehn Jahre führen aber keine Analyse zum Auftrieb der AfD durch, um ggf. neue Antworten zu entwickeln. Im Gegenteil: In zunehmendem Maße treffen sie asyl- und migrationsfeindliche Aussagen und (Symbol)Handlungen. Das ist ein Spiel mit dem Feuer, weil der/die Wähler/in  eher das Original bevorzugt.

Beachtenswert ist sicherlich der parteiübergreifende Versuch, ein Verbotsverfahren gegen die AfD zu initiieren. Selbst bei guten Erfolgsaussichten bliebe aber auch im besten Falle das Problem, dass ein nennenswerter Teil der Bürger:innen für die demokratischen Parteien verloren bliebe. D.h. mit einem Verbot kann man vielleicht das Schlimmste verhindern, aber der angestrebte gesellschaftliche Zusammenhalt würde so nicht erreicht. Bei der Frage, wie man den Einfluss und den Zulauf zur AfD wieder umkehren kann, gibt es sicher ein ganzes Maßnahmenbündel. Hier soll eine ganz wesentliche Maßnahme beschrieben werden, die bei konsequenter Anwendung sehr wirksam sein kann.

Isabella M. Weber, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der University of Massachusetts Amherst, USA, hat jüngst den Begriff der „antifaschistischen Wirtschaftspolitik“ geprägt. Die deutsche Ökonomin hat untersucht, warum in den USA die erneute Wahl von Donald Trump zum Präsidenten gelungen ist. Fazit: Mit den ökonomischen Krisenerfahrungen sehr vieler Menschen, insbesondere aus den Arbeiterschichten, sind Protest und Abneigung gegen Präsident Biden und Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris gewachsen. Die von Biden und Harris betonten tatsächlichen wirtschaftlichen Besserungen sind im praktischen Leben vieler US-Amerikaner gar nicht angekommen und darauf sind die Demokraten nicht eingegangen. Aufgrund der langjährigen Leidenserfahrungen bietet wohl das Versprechen „Make America great again“ für sehr viele US-Amerikaner eine glaubhaft bessere Perspektive. Die US-Präsidentenwahl hat abermals gezeigt, dass sich Protest gegen ökonomische Krisen- und Leidenserfahrungen überwiegend nach rechts entwickelt.

Und in Deutschland? Hierzulande können die derzeit verbliebenen Regierungsparteien noch nicht einmal auf positive Wirtschaftsentwicklungen verweisen. Bei vielen Menschen ist Wut, Hass und Misstrauen gegen die (regierenden) Parteien entstanden. Diese Krisen- und Ablehnungsstimmung ist in den letzten zehn Jahren angestiegen. Und natürlich wird sie auch von der AfD und anderen rechtsextremen Kräften angefeuert und in ihrem Sinne genutzt. Wesentliche Ursache für diese Stimmung ist die Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten zehn- bis zwanzig Jahre. Diese hat im Kern das Leben sehr vieler Menschen spürbar verschlechtert:

Es gibt zu wenig bezahlbare Wohnungen, die Mieten steigen teils brutal. Es gibt zu wenige Kitas und zu wenige Erzieher:innen. Eltern haben große Probleme, ihre Kinder tagsüber gut unter zu bringen und geraten dadurch in einen großen Stress. Es gibt zu wenig Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen. Kranke und Pflegebedürftige sind vielfach unterversorgt und auch Angehörige leiden teils massiv darunter. Die Beschäftigten in Kliniken und Altenheimen arbeiten vielfach hart am Limit und darüber hinaus. Es gibt zu wenig Lehrer:innen und zu viel Unterrichtsausfall an den Schulen. Die Qualität des Unterrichts leidet, die Lehrer:innen stehen gewaltig unter Stress. Ständig wird man im Nah- und Fernverkehr genervt, weil lange Staus, Straßen- und Brückensperrungen, Zugausfälle und Verspätungen die Fahrt zu einem unkalkulierbaren Weg machen. Die in weiten Teilen kaputte Infrastruktur führt zu einer hohen Belastung für sehr viele Menschen. Und die Liste der Probleme, die das Leben erschweren, ist noch länger. Besonders belastend sind die Lebenshaltungskosten für sehr viele Menschen geworden. Zwar ist die Inflationsrate inzwischen rückläufig, aber die Preise, die in den letzten beiden Jahren drastisch gestiegen sind, insbesondere für das Wohnen, die Lebensmittel und die Energie, sind überwiegend nicht gesunken, sondern vielfach nur weniger weiter gestiegen.

Im Ergebnis haben sehr viele Menschen in den letzten Jahren Wohlstand verloren. Hinter den statistischen Durchschnittszahlen wirtschaftlicher Kennziffern wie z.B. dem Bruttoinlandsprodukt (BIP), den Lohn- und Gehaltssteigerungen oder der Inflationsrate sind Wohlstandsverluste sowie der Anstieg der Armut nicht direkt erkennbar. Bei genauerer Betrachtung stellt man aber z.B. fest, dass die unteren und mittleren Einkommen einen ganz anderen Warenkorb zu bezahlen haben als der Warenkorb, der den statistischen Durchschnitt der offiziellen Inflationsrate errechnet. Bei genauerer Betrachtung der Lohn- und Gehaltsentwicklung stellt man fest, dass im letzten Jahr 2023 die realen Einkommen insgesamt wieder um 0,7 % gestiegen sind. Aber hinter dieser Zahl kann man nicht sofort entdecken, dass die gewerkschaftlich ausgehandelten Tariflöhne real höher ausgefallen sind und die nicht tariflich geregelten Löhne vielfach von realen Einkommensverlusten betroffen sind. Die Tarifbindung in Deutschland beträgt inzwischen nur noch 50%, nur noch jede/r zweite/r Arbeitnehmer/in verfügt über ein tariflich geregeltes Einkommen.

Diese Probleme, die das Leben der meisten Menschen belasten, sind das Resultat der Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten zehn bis zwanzig Jahre, eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die im Endeffekt zu Wohlstandsverlusten eines großen Teils der Bevölkerung geführt hat. Die daraus entstandene Wut, der Hass und das Misstrauen gegenüber der Politik führt zu einer Stärkung der AfD. Wenn die Regierung das Leben verteuert, indem sie z.B. mit einem steigenden CO2-Preis die Energiekosten erhöht, aber gleichzeitig diese Einnahmen nicht über das im Koalitionsvertrag versprochene Klimageld an die Bevölkerung, insbesondre an die unteren und mittleren Einkommensbezieher:innen, zurück gibt, dann ist Misstrauen gegenüber der Politik eine logische Folge. Genauso ist es beim hektischen, überraschenden Streichen der Kaufprämie für ein E-Auto geschehen.

Eine antifaschistische Wirtschaftspolitik ist dagegen darauf ausgerichtet, den erwirtschafteten Wohlstand auf alle zu verteilen, dafür zu sorgen, dass wirtschaftliche Unsicherheiten, existenzielle Sorgen und Ängste nicht entstehen. Antifaschistisch ist eine solche Wirtschaftspolitik, weil eine Verbesserung der ökonomischen Situation die Menschen weniger anfällig macht für den Zulauf zu rechtsradikalen Parteien. Eine antifaschistische Wirtschaftspolitik besteht deshalb insbesondere aus einem handlungsfähigen Staat, der -wenn das Allgemeinwohl es erfordert- in das Marktgeschehen regulativ eingreift anstatt die Märkte sich selbst zu überlassen oder mit einem nur unzureichenden Ordnungsrahmen zu versehen, bei dem letztendlich der wirtschaftlich Stärkere sich zum Nachteil des Allgemeinwohls durchsetzt.

Und die Grundlagen für eine antifaschistische Wirtschaftspolitik sind in Deutschland besonders gut. Der private Reichtum ist in den letzten Jahren ständig gestiegen, auch während der Coronapandemie und der Preisschocks. Er beträgt inzwischen 15.000 Mrd. Euro, das sind 15 Billionen Euro, von denen zwei Drittel, also 10 Billionen Euro in der Hand von nur 10 Prozent der Bevölkerung konzentriert ist. Die Anzahl von Multimillionären und Milliardären ist in Deutschland gestiegen. In keinem anderen Land Europas ist die Ungleichheit größer als in Deutschland.

Da diese Superreichen über zahlreiche Steuerprivilegien verfügen, leisten sie keinen angemessenen Beitrag zu den Aufgaben und Ausgaben des Gemeinwesens. Das gilt es zu ändern, um zu einer Wirtschafts- und Finanzpolitik zu kommen, die das Allgemeinwohl stärkt. Dazu gehört die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine wirksame Reform der Erbschaftssteuer, bei der kleinere Erbschaften begünstigt und größere Erbschaften angemessen zum Allgemeinwohl herangezogen werden. Dazu gehört auch eine Entlastung bei der Einkommenssteuer für die unteren und mittleren Einkommen sowie eine Erhöhung für Topverdienende. Nicht einzusehen ist, dass mit der Abgeltungssteuer von 25 Prozent leistungslose Kapitalerträge teils günstiger besteuert werden als harte Arbeit mit nicht selten mehr als 25 Prozent. Kapitalerträge sollten deshalb nach Überschreiten des Freibetrages mit dem jeweils persönlichen Steuersatz zum Allgemeinwohl beitragen.

Bei den profitablen Unternehmen und Konzernen kann man sehr gut an den Übergewinnen ansetzen. Wenn vor allem Energie- und Lebensmittelkonzerne Übergewinne, also deutlich höhere Gewinne als in den vergangenen Jahren, erzielen z.B. weil sie überproportional ihre Preise erhöht und damit die Inflation unnötig angeheizt haben, dann sollten diese Übergewinne mit einer Zusatzsteuer belegt werden. Ein insgesamt faires und gerechtes Steuersystem hat im Übrigen immer auch die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik vorgeschlagen, die im nächsten Jahr ihr 50jähriges Bestehen feiert. In den letzten Jahrzehnten haben die Ökonomen mit Professor Rudolf Hickel an der Spitze immer wieder in ihren jährlichen Memoranden die angemessene Besteuerung von Superreichen und Topverdiener:innen ausgeführt. Mit diesen Konzepten verträgt sich der aktuelle Vorschlag von Isabella M. Weber, Preisstopps und -kontrollen einzuführen, um das Leben für viele Menschen wieder bezahlbar zu machen. Dabei geht es auch um eine Stärkung der öffentlichen Haushalte, um die vielen sozialen und wirtschaftlichen Investitionsstaus beseitigen zu können. Eine Abschaffung oder Reform der Schuldenbremse ist dabei unverzichtbar und muss mit einem fairen Steuerkonzept kombiniert werden. 

Wichtig ist eine weitere Maßnahme, über die die Parteien öffentlich kaum diskutieren, die aber eine hohe Wirkung hat: der Kampf gegen Finanzkriminalität und Steuerraub. Wenn einerseits in den Haushaltsberatungen des Bundes zweistellige Milliardenbeträge fehlen, die einen gewaltigen Streit mit einem Koalitionsbruch auslösen, anderseits aber allein über die CumCum- und CumEx- Geschäfte der Allgemeinheit ca. 28 Mrd. Euro geraubt wurden, dann sollten die Bundes- und Landesregierungen alles beschleunigt unternehmen, die Straftäter zu verfolgen, anzuklagen und diese Gelder zurück zu holen. Das dies nicht ernsthaft erfolgt ist ein Skandal, der durch die neu zu wählende Bundesregierung abgestellt werden muss.

Eine antifaschistische Wirtschaftspolitik, die dafür sorgt, dass es den Menschen insgesamt besser geht, dass der Wohlstand gerecht verteilt wird und die sozialen und wirtschaftlichen Probleme systematisch sozialverträglich angepackt werden, kann den Rechten den Wind aus den Segeln nehmen. Dazu ist es allerhöchste Zeit.

Veröffentlichungen unserer Mitglieder
Aktuelles aus der AG Alternative Wirtschaftspolitik