01.05.2024
Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

Memorandum 2024

Schuldenbremse lösen: Auftakt zum gerechten Klimaschutz

Im Jahr 2023 schrumpfte die deutsche Ökonomie um 0,3 Prozent, die Prognosen für dieses Jahr sehen nicht viel besser aus. Im Grunde erleben wir seit vier Jahren Stagnation, die auch Anfang 2024 weiter anhält. Nach dem kräftigen Einbruch in der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 ging es zunächst schnell wieder aufwärts. Die Politik hat damals mit sehr umfangreichen staatlichen Hilfen für Unternehmen und Privatpersonen richtig reagiert. Auch der kräftige Anstieg der Energiepreise 2022 konnte von der Politik noch abgefedert werden. Allerdings ließ sich der Einbruch der Realkommen nicht verhindern.

Die öffentlichen Debatten über den wirtschaftspolitischen Kurs sind erstaunlich. Die uralten neoliberalen Klagen werden wieder aufgetischt. Die Unternehmen hätten Profiteinbußen zu verzeichnen, die Löhne seien eher zu hoch und der Staat gäbe zu viel Geld aus, auch weil in der Krise die Schuldenbremse ausgesetzt wurde.

Für eine Ökonomie, die seit Jahren in der Krise steckt und sich zugleich in der ökologischen Transformation bewegt, sind negative Impulse einer restriktiven Finanzpolitik pures Gift. Um aus der Mehrfachkrise herauszukommen, bedarf es starker öffentlicher Impulse. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik weist schon seit Jahren auf die Investitionsschwäche in Deutschland hin. Selbst in den Erhalt der Infrastruktur wurde in der Gesamtsumme nicht investiert. Die öffentliche Infrastruktur verfällt.

Die Bundesregierung war in der Finanzpolitik mit einem Konstruktionsfehler gestartet: Man wollte die Schuldenbremse einhalten und keine Steuern erhöhen. Diese Strategie ist gescheitert: Einerseits hat die Wucht der Krisen dieses Konzept überfordert. Anderseits hat das Verfassungsgericht im November 2023 die Umgehung der Schuldenbremse durch das Prinzip der Jährlichkeit der Schuldenfinanzierung unmöglich gemacht.

Unter dem Regime der Schuldenbremse ist der öffentliche Kapitalstock geschrumpft. Darüber hinaus fielen die dringend erforderlichen Investitionen in die Modernisierung und vor allem in die ökologische Transformation viel zu gering aus. Deshalb wurde die Schuldenbremse von Anfang an von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik seit ihrer Festlegung 2009 scharf kritisiert. Das finanzpolitische Desaster nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts macht noch einmal deutlich, wie berechtigt diese Kritik war und ist.

Im Mittelpunkt der ökologischen Transformation steht die Dekarbonisierung. Die dazu erforderlichen Finanzvolumina, die der Staat und die Privatwirtschaft aufzubringen haben, sind gigantisch. Nur zur Herstellung der Klimaneutralität im Energiesektor sind über 1,1 Billionen Euro notwendig. Solche Mittel können unter dem Regime einer Schuldenbremse nicht mobilisiert werden.

Das hat auch zu einem Sinneswandel bei vielen Ökonom*innen geführt. Die durch die Schuldenbremse über dreizehn Jahre ausgelösten Belastungen haben eine finanzpolitische Zeitenwende unausweichlich gemacht. Kreditfinanzierung in diese produktiven Zukunftsprojekte ist ökonomische auch für die kommenden Generationen unausweichlich.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert ein umfangreiches Investitions- und Ausgabenprogramm für die Bereiche Bildung, Verkehrsinfrastruktur, Digitalisierung, kommunale Ausgaben, energetische Gebäudesanierung, sozialer Wohnungsbau, lokale Pflegeinfrastruktur und für Arbeitsmarkt und Qualifizierung.

Zur Finanzierung ist die Abschaffung oder eine grundlegende Reform der Schuldenbremse nach dem Prinzip notwendig: öffentliche Investitionen sind über Kredite zu finanzieren („goldene Regel). Dazu kommt ein gerechteres Steuersystem mit einem höheren Aufkommen zur Finanzierung der regulären, dauerhaften öffentlichen Ausgaben.

Ungleiche Verteilung bleibt zentrales gesellschaftliches Problem

Die Inflation hat auch die Einkommenssituation der Beschäftigten in Deutschland stark belastet. Insbesondere 2022 gab es große Reallohnverluste. Ärmere Haushalte sind besonders stark betroffen, weil sie einen großen Teil ihres schmalen Budgets für Nahrungsmittel und Haushaltsenergie ausgeben müssen. Diese Güter waren die stärksten Preistreiber.

Im Zeitraum 2010 bis 2023 gab es zwei positive Entwicklungen: Der Niedriglohnsektor wurde kleiner. Das war einerseits Folge einer positiven Arbeitsmarktentwicklung auch für geringer Qualifizierte. Es war aber auch die Folge einer erfolgreichen „anti-neoliberalen“ Bewegung für gesetzliche Mindestlöhne, die in vielen Branchen durch Tariferhöhungen oberhalb des Mindestlohnes noch verbessert werden konnten. Der Mindestlohn wurde aber durch die danach steigende Inflation entwertet. Eine weitere Erhöhung auf 14 Euro ist nötig.

Im Jahr 2022 hatten 16,7 Prozent der Haushalte ein Einkommen, das unter der Armutsschwelle lag. Das betraf immerhin 14 Millionen Menschen. Vor allem für die Gruppe der Rentner*Innen gab es den steilsten Anstieg der Armutsquoten.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik tritt für ein auskömmliches, armutsfestes Einkommen und eine stabile Altersversorgung für alle Erwerbspersonen ein. Gleichzeitig benötigen alle Menschen, unabhängig von ihrem Erwerbsstatus, eine angemessene Existenzgrundlage oberhalb der Armutsschwelle.

Verkehrswende und Wärmewende brauchen mehr Gerechtigkeit

Eine gelingende Transformation setzt voraus, dass auch einkommensschwächere Bevölkerungsschichten mehrheitlich Maßnahmen und politische Instrumente mittragen können, die in Richtung ökologisch nachhaltigen Konsum wirken. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn die bestehende Ungleichverteilung nicht weiter verstärkt wird und einkommensschwächere Schichten erkennen können, dass die oberen Einkommensschichten entsprechend ihren hohen CO₂-Emissionen und größeren Belastungsfähigkeit verstärkt zum Klimaschutz herangezogen werden. Für einkommensschwache Schichten bedeutet dies z.B., dass eine zusätzliche finanzielle Belastung für den CO₂-Ausstoß für Heizung oder Auto über ein Klimageld rückverteilt wird.

Rund 40 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen sind dem Gebäudesektor zuzurechnen. Angesichts dieses Ausmaßes ist seine Dekarbonisierung eine enorme Herausforderung. Sie lässt sich aber bewältigen: Erstens muss der Gebäude-Energieverbrauch deutlich reduziert werden. Zweitens ist der verbleibende Restwärmebedarf zunehmend mit erneuerbaren Energien, statt mit Öl und Gas zu decken. Und drittens ist der Neu- und Ausbau von Wärmenetzen und -speichern wesentlicher Baustein dafür, regenerative Wärme effektiver zu nutzen.

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert mehr finanzielle Mittel und einen stärkeren sozialen Ausgleich bei der Umsetzung der Wärmewende.

In der derzeitigen Mehrfachkrise sind die politischen Herausforderung riesig. Die zerstrittene Ampel-Regierung fehlt die Kraft, sich in den Grundfragen der Politik zu einigen. Die Krise wird verwaltet statt bekämpft. Obwohl neoliberale Antworten, die auf mehr Markt und weniger Staat setzen, sich als untauglich erweisen, halten Teile der Bundesregierung und Teile der Opposition an der den Staat handlungsunfähig machenden Schuldenbremse fest. Vielmehr soll nach dieser Sicht die wirtschaftliche Dynamik durch Geldgeschenke an die Unternehmen und durch Deregulierung wieder belebt werden. Unsicherheit und soziale Spaltung nehmen zu. Das lähmt die Gesellschaft und stärkt am Ende auch rechtsradikale Kräfte.

Soziale, ökologische und demokratische Alternativen zu einer solchen Entwicklung sind möglich und notwendig. Das gesellschaftliche Klima dafür muss sich verändern. Die Forderungen der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik sind dazu ein wichtiger Beitrag.

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