Entwicklungsschub kreditfinanziertes „Sondervermögen für Klima und Transformation“ jetzt starten
Der Artikel ist zuerst erschienen in der Frankfurter Rundschau
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Nach den Erfahrungen mit der entwicklungshemmenden Schuldenbremse nimmt die Forderung nach deren Lockerung bis hin zur Rückkehr zur „goldenen Regel“, also der Finanzierung staatlicher Investitionen durch Kredite, selbst durch die Deutsche Bundesbank zu. Selbst die moderatesten Vorschläge scheitern jedoch derzeit an der nicht überwindbaren Zwei Drittel-Mehrheit, wie von der Verfassung gefordert. In der Bundesregierung wird selbst eine marginale Erweiterung des Spielraums öffentlicher Kreditaufnahme für Investitionen durch die FDP blockiert. Während zwar die massiven Defizite der öffentlichen Infrastruktur kaum bestritten werden, konzentriert sich der Bundesfinanzminister bei der Suche nach Finanzmitteln auf großangelegte Einsparungen im Sozialsystem. Im Bundestag ist es die größte Oppositionspartei, die CDU/CSU, die zumindest auf dieser Ebene jegliche Vorschläge der Lockerung des geregelten Verbots staatlich-struktureller Defizite blockiert. Dabei liegen schon seit Jahren fundierte Berechnungen zu den Bedarfen dringend erforderlicher öffentlicher Investitionen zum Erhalt, zur Modernisierung und zum sozial-ökologischen Umbau des staatlichen Kapitalstocks vor. Derzeit scheitert die Finanzierung dieser mehrjährigen Infrastrukturprojekte an den mit der Schuldenbremse transportierten Fehlurteilen über die Rolle der Kreditfinanzierung öffentlicher Investitionen.
Unlängst haben das „Institut der deutschen Wirtschaft“ (IW, Michael Hüther) und das „Institut für Makroökonomie und Strukturforschung“ (IMK, Sebastian Dullien) erneut den Bedarf an öffentlichen Infrastrukturinvestitionen auf dem aktuellen Kenntnisstand für die kommenden zehn Jahre hochgerechnet. Die „öffentlichen Investitionsbedarfe 2024“ werden mit 600 Mrd. € und damit im Jahresdurchschnitt mit 60 Mrd. € angegeben. Dabei sind gegenüber den erstmals 2019 durch die beiden Institute vorgelegten Schätzungen die notwendigen Ausgaben um 140 Mrd. € gestiegen. Ursache dafür sind die mittlerweile eingetretene Mehrfachkrise wie die Corona-Pandemie, der Krieg Russlands in der Ukraine mit den Folgen für die Sicherung der Energieversorgung, die untaugliche Geldpolitik gegen die importierte Angebotsinflation, aber auch Lieferkettenprobleme. Insgesamt habe sich, so die Institute, ein Wechsel „von einer dynamischen Entwicklung zu einer hartnäckigen Stagnation“ durchgesetzt. Weiter Ausgaben steigernd wirkt, wie es die beiden Institute nennen, das steigende „Ambitionsniveau“ einer verschärften Klimapolitik. Dieses ist auch infolge des Bundesverfasungsgerichtsurteils vom März 2021 erhöht worden. Klimapolitik muss wegen der Verantwortung für nachfolgende Generationen konsequent gegen künftige Einschränkungen der individuellen Freiheitsrechte infolge von Klimakatastrophen intensiviert werden.
Die Antwort des handlungsfähigen Staates auf diese infrastrukturellen Defizite zu Lasten nachfolgender Generationen kann derzeit nur sein: In die Verfassung wird ein über Kredite finanziertes Sondervermögen mit dem gut begründeten Gesamtvolumen von 600 Mrd.€ über zehn Jahre aufgenommen. Dabei sichert der Sonderfonds neben dem Bund und den Ländern auch den Kommunen nach Berechnungen der beiden Institute über ein Drittel des Gesamtvolumens von über 213 Mrd. € zu. Dieses Sondervermögen könnte gegenüber der Tabuisierung der Schuldenbremse einen Lösungskompromiss mit Zwei-Drittel-Mehrheit ermöglichen. Im Unterschied zur Schuldenbremse sind im Sondervermögen die Investitionsprojekte spezifiziert und kontrollierbar. Den Unternehmen würde auch gegen die aktuell konjunkturelle Schwäche eine mittelfristige Planbarkeit ihrer Produktionsaufträge zugesichert werden.
Die Rechtfertigung für diese investive Staatsverschuldung gilt gleichermaßen für das Sondervermögen wie für die Ablösung der Schuldenbremse durch die „goldene Regel“: Staatsschulden von heute erzeugen staatliches Vermögen durch einen zukunftsfähigen öffentlichen Kapitalstock. Dazu sind Kredite das einzige Finanzierungsinstrument, mit dem auch Intergenerationengerechtigkeit, die das Bundesverfassungsgericht fordert, herstellbar ist: An der Finanzierung der heute per Transformation auf den Weg gebrachten künftigen Wertschöpfung werden nachfolgende Generationen durch Zinszahlungen und Tilgungen an der Finanzierung angemessen beteiligt.
Der Vergleich des per Kredite finanzierten Sondervermögens mit 600 Mrd. € mit dem zu erwartenden Erfolg durch die Transformation zum nachhaltigen Wohlstand relativiert die Sorge, ein gigantischer „Unternehmensstaat“ könnte etabliert werden. Durch „schöpferische Zerstörung“ (Schumpeter) wird, wie das Beispiel Transformation vom fossilen Stahl zum Green Steel auf der Basis von Wasserstoff zeigt, eine zukunftsfähige Wirtschaft angestrebt. Der alte ordnungspolitische Streit um mehr/weniger Markt bzw. weniger/mehr Staat ist obsolet. Vielmehr wird die Kooperation zwischen der Unternehmenswirtschaft und dem die infrastrukturellen Voraussetzungen sichernden Staat zum ordnungspolitischen Ziel. Denn die Unternehmen sind nach der marktwirtschaftlichen Logik der Gewinnwirtschaft nicht in der Lage, diese notwendige Transformation aus eigenen Mitteln zu bewältigen. Vielmehr muss der Staat die finanziellen Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Basis des neuen Wohlstands schaffen. Dieser ordnungspolitisch verantwortliche Staat agiert mit seinem Einsatz von Krediten nicht als „Lückenbüßer“, sondern als produktiver Gestalter der Rahmenbedingen zur Schaffung der Grundlagen nachhaltiger Wertschöpfung für nachfolgende Generationen. Das hier vorgeschlagene Sondervermögen „Klima und Transformation“ sollte unverzüglich als Triebkraft für den notwendigen Entwicklungsschub gezündet werden.