07.06.2024
Rudolf Hickel

Entwicklungsschub kreditfinanziertes „Sondervermögen für Klima und Transformation“ jetzt starten

Der Artikel ist zuerst erschienen in der Frankfurter Rundschau

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Nach den Erfahrungen mit der entwicklungshemmenden Schulden­bremse nimmt die Forderung nach deren Lockerung bis hin zur Rück­kehr zur „goldenen Regel“, also der Finanzierung staatlicher Investitio­nen durch Kredite, selbst durch die Deutsche Bundesbank zu. Selbst die moderatesten Vorschläge scheitern jedoch derzeit an der nicht über­windbaren Zwei Drittel-Mehrheit, wie von der Verfassung gefordert. In der Bun­desregierung wird selbst eine marginale Erweiterung des Spiel­raums öf­fentlicher Kreditaufnahme für Investitionen durch die FDP blockiert. Wäh­rend zwar die massiven Defizite der öffentlichen Infrastruk­tur kaum be­stritten werden, konzentriert sich der Bundesfinanzminister bei der Su­che nach Finanzmitteln auf großangelegte Einsparungen im Sozial­system. Im Bundestag ist es die größte Oppositionspartei, die CDU/CSU, die zumindest auf dieser Ebene jegliche Vorschläge der Lockerung des ge­regelten Verbots staatlich-struktureller Defizite blo­ckiert. Dabei liegen schon seit Jahren fundierte Berechnungen zu den Bedarfen dringend er­forderlicher öffentlicher Investitionen zum Erhalt, zur Modernisierung und zum sozial-ökologischen Umbau des staatlichen Kapitalstocks vor. Der­zeit scheitert die Finanzierung dieser mehrjährigen Infrastrukturprojekte an den mit der Schuldenbremse transportierten Fehlurteilen über die Rolle der Kreditfi­nanzierung öffentlicher Investiti­onen.

Unlängst haben das „Institut der deutschen Wirtschaft“ (IW, Michael Hüther) und das „Institut für Makroökonomie und Strukturforschung“ (IMK, Sebastian Dullien) erneut den Bedarf an öffentlichen Infrastruk­turinvestitionen auf dem aktuellen Kenntnisstand für die kommenden zehn Jahre hochgerechnet. Die „öffentlichen Investitionsbedarfe 2024“ werden mit 600 Mrd. € und damit im Jahresdurchschnitt mit 60 Mrd. € angegeben. Dabei sind gegenüber den erstmals 2019 durch die beiden Institute vorgelegten Schätzungen die notwendigen Ausgaben um 140 Mrd. € gestiegen. Ursache dafür sind die mittlerweile eingetretene Mehr­fachkrise wie die Corona-Pandemie, der Krieg Russlands in der Ukraine mit den Folgen für die Sicherung der Energieversorgung, die untaugliche Geldpolitik gegen die importierte Angebotsinflation, aber auch Liefer­ket­tenprobleme. Insgesamt habe sich, so die Institute, ein Wechsel „von ei­ner dynamischen Entwicklung zu einer hart­näckigen Stagnation“ durch­gesetzt. Weiter Ausgaben steigernd wirkt, wie es die beiden Institute nen­nen, das steigende „Ambitionsniveau“ einer verschärften Klimapolitik. Dieses ist auch infolge des Bundesverfasungsgerichtsurteils vom März 2021 erhöht worden. Klimapolitik muss wegen der Verantwortung für nachfolgende Generationen konsequent gegen künftige Einschrän­kungen der individuellen Freiheitsrechte infolge von Klimakatastrophen intensiviert werden.

Die Antwort des handlungsfähigen Staates auf diese infrastrukturellen De­fizite zu Lasten nachfolgender Generationen kann derzeit nur sein: In die Verfassung wird ein über Kredite finanziertes Sondervermögen mit dem gut begründeten Gesamtvolumen von 600 Mrd.€ über zehn Jahre aufge­nommen. Dabei sichert der Sonderfonds neben dem Bund und den Län­dern auch den Kommunen nach Berechnungen der beiden Institute über ein Drittel des Gesamtvolumens von über 213 Mrd. € zu. Dieses Sonder­ver­mögen könnte gegenüber der Tabuisierung der Schulden­bremse ei­nen Lösungskompromiss mit Zwei-Drittel-Mehrheit ermögli­chen. Im Un­ter­schied zur Schuldenbremse sind im Sondervermögen die Investitions­projekte spezifiziert und kontrollierbar. Den Unternehmen würde auch gegen die aktuell konjunkturelle Schwäche eine mittelfristige Plan­barkeit ihrer Produktionsaufträge zugesichert werden.

Die Rechtfertigung für diese investive Staatsverschuldung gilt gleicher­maßen für das Sondervermögen wie für die Ablösung der Schulden­bremse durch die „goldene Regel“: Staatsschulden von heute erzeugen staatliches Vermögen durch einen zukunftsfähigen öffentlichen Kapi­tal­stock. Dazu sind Kredite das einzige Finanzierungsinstrument, mit dem auch Intergenerationengerechtigkeit, die das Bundesverfassungs­gericht fordert, herstellbar ist: An der Finanzierung der heute per Trans­formation auf den Weg gebrachten künftigen Wertschöpfung werden nachfolgende Generationen durch Zinszahlungen und Tilgungen an der Finanzierung angemessen beteiligt.

Der Vergleich des per Kredite finanzierten Sondervermögens mit 600 Mrd. € mit dem zu erwartenden Erfolg durch die Transformation zum nachhal­tigen Wohlstand relativiert die Sorge, ein gigantischer „Unterneh­mens­staat“ könnte etabliert werden. Durch „schöpferische Zerstörung“ (Schumpeter) wird, wie das Beispiel Transformation vom fossilen Stahl zum Green Steel auf der Basis von Wasserstoff zeigt, eine zukunftsfä­hige Wirtschaft angestrebt. Der alte ordnungspo­liti­sche Streit um mehr/weniger Markt bzw. weniger/mehr Staat ist obsolet. Vielmehr wird die Kooperation zwischen der Unternehmenswirtschaft und dem die inf­rastrukturel­len Voraussetzungen sichernden Staat zum ordnungspoliti­schen Ziel. Denn die Unternehmen sind nach der marktwirtschaftlichen Logik der Gewinn­wirt­schaft nicht in der Lage, diese notwendige Transfor­mation aus eigenen Mitteln zu be­wälti­gen. Vielmehr muss der Staat die finanziellen Rahmen­bedingun­gen für die wirtschaftliche Basis des neuen Wohlstands schaf­fen. Dieser ordnungspolitisch verant­wortliche Staat agiert mit sei­nem Einsatz von Krediten nicht als „Lücken­büßer“, sondern als produkti­ver Ge­stalter der Rahmenbedingen zur Schaffung der Grund­lagen nachhalti­ger Wertschöpfung für nachfolgende Generationen. Das hier vorgeschla­gene Sondervermögen „Klima und Transformation“ sollte unverzüglich als Triebkraft für den notwendigen Entwicklungsschub ge­zündet werden.

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