Berlin, Ware Bildung - Tendenzen der Privatisierung öffentlicher Bildung
Tagungsbericht und Vortragsmaterialien
Am 20. September 2014 fand im Sitzungssaal des DGB Berlin-Brandenburg die gemeinsame Arbeitstagung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und des Bundes Demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) zum Thema "Ware Bildung - Tendenzen der Privaitisierung öffentlicher Bildung" statt. Es war bereits die vierte Tagung dieses Veranstalterkreises und in diesem Format. Knapp über 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren erschienen: überwiegend aus dem Spektrum der Gewerkschaften und Hochschulangehörige. Zielsetzung war es, die verschiedenen Facetten der Privatisierung von Bildung, ihre Begründungsmuster, Schlüsselbegriffe und Strategien kritisch unter die Lupe zu nehmen, wobei ausdrücklich alle Bildungsstufen berücksichtigt werden sollten. Die Tagung wurde von Torsten Bultmann (BdWi) und Gunter Quaißer (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik) moderiert.
Nach dem Grußwort von Doro Zinke (Vorsitzende DGB Berlin-Brandenburg) hielt Thomas Höhne (Hochschullehrer Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) ein historisch-kritisches Eröffnungsreferat zum Thema "Autonomie als Herrschaftsstrategie". Es wurde deutlich, wie ein ursprünglicher Schlüsselbegriff der bürgerlichen Emanzipation und Revolution (Subjektautonomie, kritische Urteilsfähigkeit) im Sinne aktueller neoliberaler Ökonomisierungsstrategien mit der Folge einer Entprofessionalisierung von Pädagogik transformiert wurde, nicht zuletzt, um einen künstlichen Wettbewerb zwischen verschiedenen Bildungseinrichtungen zu erzeugen und diese in die Konkurrenz gegeneinander zu treiben.
Im Anschluss referierte Tobias Kaphegyi (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik) zu den Widersprüchlichkeiten der Bildungsprivatisierung in Deutschland. Es wurde deutlich, dass dieser Prozess weitgehend innerhalb eines zu annähernd 90 Prozent staatlich finanzierten Systems stattfände (endogene Privatisierung). Das Interesse an privaten Bildungseinrichtungen ist sehr gering. Das bedeutet im Kern, dass Steuergelder, die das System finanzieren, zunehmend wettbewerblich verteilt werden und damit die materielle Ungleichheit zwischen den Bildungseinrichtungen verstärkt wird. Die rhetorische Aufwertung von Bildung sei Begleitmoment der Politik des "aktivierenden Staates", welcher eine Förderung von Bildungschancen an die Stelle materieller Umverteilung setze - und durch simulierte Wettbewerbe genau dies zu erreichen behauptet.
Danach referierte Ansgar Klinger (GEW) mit umfangreichen statistischen Belegen zu den Arbeitsbedingungen in der öffentlich finanzierten Weiterbildung: 75 Prozent der Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildner haben einen Hochschulabschluss; dabei kommen auf 14 Prozent Festangestellte 63 Prozent Freiberufler. Letztere arbeiten unter Bedingungen zunehmender Prekarisierung, immer häufiger unterhalb der Niedriglohnschwelle. Auch die öffentliche Finanzierung der entsprechenden Einrichtungen ist rückläufig - und dies vor allem im Widerspruch zur politischen Rhetorik der wachsenden Bedeutung "Lebenslangen Lernens".
Nach der Mittagspause führte Christina Gericke (Universität Hamburg) in die Public Private Partnership-Strategien (PPP) im Bildungsbereich, vorrangig in den Schulen, ein. Die Akteure entsprechender Kooperationsmodelle sind vorrangig Unternehmensstiftungen bzw. von Unternehmen finanzierte Einrichtungen (Bertelsmann Stiftung, Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Bundesarbeitsgemeinschaft Schule-Wirtschaft des Instituts der Deutschen Wirtschaft etc.). Ziel derartiger Kooperationen ist eine "wettbewerbliche Schulentwicklung". Zu diesem Zweck werden Wettstreite zwischen den Schulen, Planspiele, kooperative Schulprojekte etc. inszeniert. Gleichzeitig wird Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften angeboten, womit wiederum private Akteure Einfluss auf die Personalentwicklung nehmen.
Peter Börtzler (GEW Berlin) erläuterte diesen PPP-Ansatz anhand des Berliner Projektes "School Turnaround". An diesem nehmen sieben integrierte Sekundarschulen in sozialen Brennpunktgebieten teil. Grundlage für all dies ist die Philosophie des ‚überforderten’ Staates, dem nur durch eine bessere Kooperation von Staat, Unternehmen und zivilgesellschaftlichem Engagement entgegen gewirkt werden könne. Für das Projekt werden eine Million Euro im Rahmen einer Laufzeit von 2,5 Jahren zur Verfügung gestellt. Ungeachtet dessen geht es mit Personalabbau an Berliner Schulen einher (so dass sich folglich die Lernbedingungen keineswegs verbessern). Vorbild ist ein ähnliches Projekt in der Stadt New York, wobei kurioserweise unterschlagen wird, dass hier 14.000 Euro pro Schüler und Jahr ausgegeben werden, in Berlin hingegen nur 6.600 Euro.
Cornelia Heintze (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik) referierte über Privatisierung in Skandinavien. Für diese Länder gilt, dass in einem zu über 90 Prozent (Finnland: 97,6 Prozent) öffentlich finanziertem Bildungssystem im Schnitt 8,5 Prozent des BIP (2011) für Bildung ausgegeben werden (Deutschland: knapp um die fünf Prozent). In den letzten Jahren entwickelten sich Schweden und Finnland jedoch deutlich auseinander. Schweden experimentiert zunehmend mit Marktsteuerung und Wettbewerbselementen; mittlerweile gehen 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler hier auf Privatschulen, die allerdings keine Schulgelder erheben dürfen. Finnland geht diesen Weg nicht: Privatschulen werden restriktiv verhindert und private For-Profit-Unternehmen im Bildungssektor nicht zugelassen; sogar zu einem kostenfreien Nachhilfeunterricht sind die öffentlichen Schulen verpflichtet.
Abschließend referierte Torsten Bultmann (BdWi) zu den Folgen eines simulierten Wettbewerbes für Bildung und Forschung an öffentlichen Hochschulen. Die Grundfinanzierung für die gesetzlichen Aufgaben der Hochschulen ist seit mindestens zwei Jahrzehnten eingefroren. Erhebliche finanzielle Zuwächse werden allerdings über wettbewerblich vergebene befristete Forschungsprojekte vergeben. Dadurch wird die Qualität des Studiums und seiner Bedingungen für die Hochschulleitungen strukturell uninteressant. Diese Aufgabe der Hochschulen wird eher als Einsparressource betrachtet, um daraus Mittel zur Verbesserung der Infrastruktur forschungsstarker Bereiche zu generieren. Folglich verschlechtern sich die Studienbedingungen ständig. Geht man davon aus, dass sich über das Studium das gesamte Wissenschaftssystem reproduziert (einschließlich des künftigen wissenschaftlichen Nachwuchses) sägt sich das System so den Ast ab, auf dem es sitzt. Aber auch die Innovationsfähigkeit der Forschung nimmt tendenziell ab: der harte Wettbewerb fördert ein Verhalten, sich auf das in der Vergangenheit Erfolgreiche und Bewährte zu konzentrieren. Riskante Gedanken und grundlegende Innovationen, die in der Regel vom wissenschaftlichen mainstream abweichen, bleiben auf der Strecke. In der Abschlussdiskussion forderten alle Veranstalter sowie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Fortsetzung dieser Tagungsreihe. Auf einer Folgeveranstaltung könnte neben den Analysen noch ein stärkeres Gewicht auf die politische Handlungsorientierung gelegt werden.
Vortragsmaterialien:
Thomas Höhne: Autonomie als Herrschaftsstrategie zur Durchsetzung wettbewerblicher Steuerung
Tobias Kaphegyi: Widersprüchlichkeiten des Bildungsprivatisierungsprozesses in Deutschland und Erklärungsansätze - Pfadabhängigkeiten, Profite und "innere Landnahme"
Ansgar Klinger: Markt und Wettbewerb - Prekäre Arbeitsbedingungen in der öffentlich finanzierten Weiterbildung
Christina Gericke: Public Private Partnership im Bildungsbereich - eine Einführung
Klaus-Peter Börtzler: Das PPP-Projekt "School Turnaround" - eine Wende für Berliner Schulen?
Cornelia Heintze: Vermarktlichung und Privatisierung von Bildung im skandinavischen Kontext
Torsten Bultmann: Vor den Trümmern eines Leitbilds - Warum die 'unternehmerische Hochschule' nicht funktionieren kann
Laut Berechnungen von Experten fehlen dem öffentlichen deutschen Bildungssystem jährlich 56 Milliarden Euro, wenn Deutschland bei den Bildungsausgaben nur auf ein mittleres Niveau der OECD-Länder aufrücken will. Das ist zunächst eine Folge des Kostensenkungsdrucks, der in der neoliberalen Ära auf den Staatsausgaben lastet. Andererseits versprechen alle Parteien mehr für die Bildung zu tun. Statt jedoch die Investitionen in das System deutlich zu steigern, wird eine Agenda verfolgt, nach der vor allem die "Effizienz" von Bildungseinrichtungen durch Privatisierung, Private-Public-Partnership-Modelle (PPP) und neue managerialistische Steuerungsformen erhöht werden soll. Politische Schlüsselbegriffe dafür sind "Autonomie" und "Wettbewerb". In der Tat steigert sich so der Privatisierungs- und Wettbewerbsdruck, der auf Bildungsinstitutionen lastet. Das ist zwar keine materielle Privatisierung der Finanzierungsquellen, bei der "staatlich" durch "privat" ersetzt wird, aber eine funktionale Privatisierung. Sie bedeutet, dass immer größere Anteile öffentlicher Gelder konkurrenz- und wettbewerbsgetrieben verteilt werden ohne dass insgesamt mehr Geld ins System kommt. Das hat zwangsläufig zur Folge, dass die Ungleichheit zunimmt - sowohl der finanziellen Ausstattungen wie der Bildungschancen. Statt möglichst vielen Menschen eine möglichst gute Bildung anzubieten, geht die Schere zwischen Bildungselite und Bildungsverlierern weiter auseinander.
Auf der gemeinsamen Tagung und in Fortsetzung der Zusammenarbeit von Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, BdWi und GEW wollen wir uns kritisch mit den Legitimationsmustern, den Schlüsselbegriffen und den gesellschaftlichen Folgen dieser Politik auseinandersetzen.
Ort: Berlin, DGB Berlin-Brandenburg, Keithstraße 1/3, 10787 Berlin
Veranstalter:
- Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik
- BFW - Bildungs- und Förderungswerk der GEW
- Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi)
- DGB Berlin-Brandenburg
- FIB - Forschungs- und Informationsstelle beim BdWi
- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
Um Anmeldung wird gebeten (s.u.).
Programm
10.00 - 10.15 Uhr
Doro Zinke Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg
Eröffnung und Begrüßung
10.15 - 12.30 Uhr
Thomas Höhne (Professor an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg)
Autonomie als Herrschaftsstrategie zur Durchsetzung wettbewerblicher Steuerung
Tobias Kaphegyi (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik)
Widersprüchlichkeiten des Bildungsprivatisierungsprozesses in Deutschland und Erklärungsansätze - Pfadabhängigkeiten, Profite und "innere Landnahme"
Ansgar Klinger (Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der GEW)
Markt und Wettbewerb - Prekäre Arbeitsbedingungen in der öffentlich finanzierten Weiterbildung
Diskussion
12.30 bis 13.30 Uhr
Mittagessen
13.30 - 15.00 Uhr
Christina Gericke (Universität Hamburg)
Public Private Partnership im Bildungsbereich - eine Einführung
Klaus-Peter Börtzler (GEW-Berlin)
Das PPP-Projekt "School Turnaround" - eine Wende für Berliner Schulen?
Diskussion
15.00 - 15.30 Uhr
Kaffeepause
15.30 - 16.45 Uhr
Cornelia Heintze (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik)
Vermarktlichung und Privatisierung von Bildung im skandinavischen Kontext
Torsten Bultmann (BdWi)
Marktsimulation in der "unternehmerischen Hochschule" und die Folgen für Bildung und Forschung
Diskussion
16.45 - 17.00 Uhr
Schlusswort: Gunter Quaißer (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik)
Ende der Tagung 17.00 Uhr
Moderation der Tagung: Torsten Bultmann und Gunter Quaißer
Tagungsort:
DGB Berlin-Brandenburg
Keithstraße 1/3
10787 Berlin
Anreise:
ÖPNV: U-Bahn-Linie U2
Haltestelle Wittenbergplatz
Der Tagungsort befindet sich beim DGB Berlin-Brandenburg in der Keithstraße 1/3 (Ecke Kleiststraße).
Karte
Anmeldung zur Tagung
Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik
Postfach 33 04 47
28334 Bremen
oder per Mail an
memorandum@t-online.de
Die Anmeldung kann auch über das folgende Formular erfolgen.
Hiermit melde ich mich zur Tagung "Ware Bildung" an.
Wo?
Berlin-
Wir sind
eine Gruppe von Ökonom*innen und Gewerkschafter*innen, die sich kritisch mit der aktuellen Wirtschaftspolitik auseinandersetzt.
-
Wir wollen
der angeblichen Alternativlosigkeit neoliberaler Politik die reale Alternative einer sozialen Politik entgegensetzen.
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Wir veröffentlichen
jedes Jahr, neben verschiedenen Expertisen, das Memorandum als Stellungsnahme für eine andere Wirtschaftspolitik.