05.01.2025
Rudolf Hickel

Neustart der VW-Group: Mit Zukunftstarifvertrag in die Transformation

Die VW-Group hat sich in den letzten Jahren bedrohlich in Richtung Absturz be­wegt. Anhaltende Überkapazitäten sind in Deutschland entstanden. Über 500 000 Automobile haben mangels Nachfrage zur Auslastung der deutschen Produktionskapazitäten gefehlt. Sinkende Erlöse waren die Folge. Der Jahresge­winn nach Steuern ist allein vom 3. Quartal 2023 bis zum 3. Quartal 2024 um 2 Mrd. € auf 1,6 Mrd. € gefallen. An den Börsen zeigte sich die Krise durch den massiven Rückgang der Kurswerte der Aktien der VW-AG im Trend vom Spit­zenwert mit über 245 € pro Aktie Mitte April 2021 auf 88,80 zwei Tage vor der am 22.12. 2024 beschlosse­nen Vereinbarung „Zukunft Volkswagen. Die leich­ten Kurgewinne im Gefolge der Vereinbarung sind allerdings schnell wieder im Spekulationsalltag an den Börsen verschwunden.

Ursachenfundierte Sanierung

Diese tiefgreife Krise von VW trifft in Deutschland mit seinen 13 Stützpunk­ten 2023 knapp 265 000 direkt Beschäftigte und nochmals über 330 000 Tsd. Be­schäftigte im Bereich der Zulieferwirtschaft. Viel zu spät begann die Suche nach den Ursa­chen zur Überwindung dieser VW-Krise. Zu Erlöseinbußen führ­ten der Einbruch der allgemei­nen Konjunktur sowie die deutlich gesunkenen Erträge aus dem Chinageschäft der 39 Gemeinschaftsunternehmen mit über 90 Tau­send Beschäftigten. Dramatischer Krisentreiber ist die durch das Gesamt­system VW verpasste ökologische Trans­formation vom fossilen Ver­brennermotor zur Elektromobilität. Viel zu lang wurde vor allem auf hochpreisige Ver­gaser-Au­tomobile anstatt auf preisgünstige E-Autos gesetzt. Von den um 7 % auf ca. 8,7 Millionen reduzierten Fahrzeugen, die in 2024 verkauft sein werden, sind im­mer noch 83 % mit im Kern fossilem Antrieb und nur 17 % mit batte­rie­elektrischem Antrieb ausgestattet. Hierfür verantwortlich ist maß­geblich das gesamte System der VW-Group. Im Zentrum steht das Ma­nage­ment, dessen Anreiz, beim alten Geschäftsmodell so lange wie möglich zu bleiben, die Jahr­zehnte erzielten hohen Profite waren. Denn daraus flossen die üppigen Boni­zahlungen als Belohnung. Aber auch die ertragsfi­xier­ten Aktionäre ha­ben mit der Spekulation auf hohe Dividenden den An­triebs­wechsel unter­neh­mensstra­tegisch auch behindert. Die VW-Krise ist die Folge ei­ner kurzfristigen Profitma­ximierung, durch die der erst mittelfristig wirksame Umbau ausge­bremst wurde.

Verantwortungsvoller Kompromiss über den Transformationstarifvertrag
 bei VW

Unter dem massiven Druck eines drohenden Kahlschlags ist schließlich ein zu­kunftsfähiger Kompromiss mit dem Wechsel vom Verbrenner- zum E-Antrieb erzwungen worden. Ziel der akzeptablen Kompromiss­bildung durch kluge Tarif­parteien musste sein: Zeit zur sozial-verträgli­chen Transformation ins CO2-freie Zeitalter bei VW durch den Aus­bau der Elektromobilität zu gewin­nen. In mehr als 70 Stunden Verhandlungen, begleitet durch Warnstreiks, ist ein sozial ver­antwortliches und klimapolitisch vorzeigbares Zukunftskonzept für die deut­schen VW-Standorte erarbeitet wor­den. Mit der „Vereinbarung ´Zu­kunft Volks­wagen`“ ist erstmals ein weit über die Löhne hinausgehender Tarifver­trag der Transformation, der mittel­fristig die bisherigen Produktionsstrukturen und Ar­beitsverhältnisse umbaut, im Konsens geschaffen worden. Dieser Trans­forma­tion-Tarifvertrag über den Zeitraum von fünf Jahren ist ein Pionierabschluss, der für weitere industrielle Produktionsschwer­punkte mit dem Ziel des Aus­stiegs aus der fossi­len Produktionswelt nutzbar sein wird.

Jetzt kommt es darauf an, die vereinbarten Regelungen um­zusetzen. Ziel der Vereinbarung ist, VW als „Technologie führenden Volumen­hersteller“ in den kommenden fünf Jahren im internationalen Wettbewerb für das ökologische Zeitalter zu positionieren. Dazu werden jedoch die Kapazitäten durch die Re­duktion der Produktion von über 700 00 Automobile pro Jahr im Prinzip ohne Schließung von Pro­duktionsstandorten vereinbart. Für den größten Standort Wolfsburg heißt das: Ver­lagerung der Produktion vom Golf und Golf Variant nach Puebla in Mexico ge­genüber dem Zuwachs der Produktion auch vom E-Golf. Für die zu schließen­den Produktionsstätten „gläserne Manufaktur“ (Pro­duktion des ID.3) in Dres­den sofort und in Osnabrück ab Sommer 2027 (derzeit T-Roc-Cabrio) wird eine Fortführung unter Beteiligung von Dritten angestrebt. Lei­der wird nur beim Stand­ort Chemnitz der Einstieg in die alternative Produk­tion ge­wagt. Dort soll das Ge­schäft einer „Kreislaufwirtschaft“ (Ciruclar Eco­nomy) vor allem mit dem öko­logisch relevan­ten „Recycling“ für die gesamte Wertschöpfungskette bei VW aufgebaut wer­den.

Beschäftigungsanpassung ohne Massenentlassungen

Diese Produktionsanpassung im Zuge der ökologischen Transformation ist je­doch ohne den bitteren Abbau von Arbeitsplätzen zu realisieren. Aller­dings werden durch diesen Tarifvertrag brutale Massenentlassungen ver­mieden. Die über 30 Jahre al­te Beschäftigungsgarantie wird im Zukunftsgeschäftsmodell VW fortgeführt. 35 000 Beschäftigte werden nicht gekündigt, sondern sozial verträglich bis 2030 den Job beenden. Allein durch diese Maß­nahme sollen gegenüber dem gesam­ten Effekt aller Kostenentlastungen von 15 Mrd. € die Arbeitskosten um 1,5 Mrd. € pro Jahr sinken. Auch konnte der durch das Management geforderte Lohnab­bau verhindert werden. Nach einem Vor­schlag der IG Metall zusammen mit dem Konzernbetriebsrat ist die für die Me­tall- und Elektroindustrie in Nie­dersa­chen beschlossene Lohn­erhöhung von über 5% 2025 im VW-Haustarif übernommen worden. Der Lohnzuwachs geht nicht an die Be­schäftigten, son­dern fließt in einen solidarischen Zukunfts­fonds. Daraus werden unter anderem künftig erforder­liche Maß­nahmen des Lohnaus­gleichs für Arbeitszeitverkürzungen finanziert. Kürzungen beim Ur­laubsgeld und bei den Bonuszahlungen, die 2026/27 kom­plett ausge­setzt wer­den, sowie eine grundlegende Reform des veralteten Entgeltsystems sind im neuen Tarif­vertrag geregelt worden. Eingeführt wird mit der 35-Stun­den-Wo­che eine ein­heitliche Ar­beitszeit, also auch für diejenigen, die aus früheren Verträgen mit niedrigere Wochenarbeitszeiten im Einsatz sind.

Beitrag des Managements und Renditeerwartung

Es stellt sich die Frage, wie der Vorstand sowie das Management in die Spar­maßnahmen einbezogen werden. In der offiziellen Vereinbarung gibt es dazu keinerlei Hinweise. Medienberichten zufolge sind jedoch Sparmaßnahmen auch für die außertarifliche Managerbezahlung vorgesehen. So soll der Mai-Bonus so stark sinken, dass das Jahreseinkommen von rund 4 000 Managern 2025 und 2026 um zehn Prozent schrumpfen wird. In den folgenden drei Jahren sollen die Jahreseinkommen um acht, sechs und zuletzt fünf Prozent zurückgehen. Bei der Vorstandsvergütung wird auf den allerdings dafür zuständigen Aufsichtsrat der VW AG hingewiesen. Dazu äußert die IGMetall die Erwartung „dass sich der Ver­zicht des Vorstands noch einmal von dem des Managements abhebt". Je­den­falls hat VW-Chef Oliver Blume im Rahmen der Einigung im Tarifstreit er­klärt, Vorstand und Manage­ment würden sich "überproportional" am Sanie­rungskurs beteiligen.

Schließlich werden in der Vereinbarung „Zukunft Volkswagen“ keine quantitati­ven Renditeziele für die Transformationsphase vorgegeben. Die viel zitierte, bisher für 2026 geplante Rendite mit 6,5% passt auf keinen Fall mehr zum Sa­nierungsprozess.  Sehr all­gemein wird angemerkt: Es ist das „Ren­diteziel der Marke Volkswagen PKW mittelfristig erreichbar“. Eine durch die Erwartungen der Kapitalmärkte extern vorgegebene Zielrendite wäre für den offenen Pro­zess der Transformation von VW Gift.

Veröffentlichungen unserer Mitglieder
Aktuelles aus der AG Alternative Wirtschaftspolitik