Frankfurt, Missbrauch der Demografie
Vortrag und Diskussion mit Gerd Bosbach
Ort: Club Voltaire
Wie mit Bevölkerungsdaten Politik gemacht wird.
Es ist doch merkwürdig: Alle gucken gespannt bis ängstlich in die Zukunft der alternden Gesellschaft. Kaum einer blickt zurück. Dabei wäre das sehr aufschlussreich.
Die Lebenserwartung steigt um über 30 Jahre, der Kinder- und Jugendanteil geht von über 44 Prozent auf 21 Prozent zurück, der Anteil der Rentner vervierfacht sich! Eine Horrorvorstellung? Genau das ist zwischen 1900 und 2000 geschehen.
In der Öffentlichkeit führte das damals zu ähnlichen Ängsten wie heute: "Volk ohne Jugend - Geburtenschwund und Überalterung des Deutschen Volkskörpers" betitelte der Chef-Demograf der Weimarer Republik 1932 seinen Blick auf die Entwicklung. Und Bundeskanzler Konrad Adenauer wusste aufgrund der niedrigen Geburtenrate schon 1953: "Dann sterben wir ja aus." "Sozialstaat in der Sackgasse - Wer zahlt morgen die Renten?" fragte 1959 die "Neue Tageszeitung" auf der Titelseite.
Nichts dergleichen geschah. Die massive Alterung wurde sogar noch vom Ausbau des Sozialstaats begleitet, den Arbeitnehmern ging es 2000 unvergleichlich besser als 1900. Und trotz der Angst vor zu wenig Arbeitenden wurden die Arbeitszeiten massiv gekürzt. Offensichtlich war die Alterung nicht ausschlaggebend für die Entwicklung.
Warum aber wird in den letzten Jahren so viel Angst geschürt? Die Antwort ist einfach: Es gibt sehr starke finanzkräftige Nutzer der Demografie-Panik:
Die Unternehmer konnten sich damit aus der Parität bei der Rente verabschieden, die "private Altersvorsorge" dürfen die Arbeitnehmer alleine tragen. Die Versicherungskonzerne haben ein lukratives Geschäftsfeld gewonnen, sogar staatlich gestützt und beworben. Der gesamte Finanzmarkt bekam und bekommt frisches Geld für weitere Spekulationen und Gewinne. Diese einflussreichen Gruppen haben die Politiker auf ihre Seite gezogen. Als ein Dankeschön hat die Politik jetzt bei allen Problemen eine einfache Erklärung: Die Demografie ist schuld.
Wo?
Frankfurt-
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eine Gruppe von Ökonom*innen und Gewerkschafter*innen, die sich kritisch mit der aktuellen Wirtschaftspolitik auseinandersetzt.
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jedes Jahr, neben verschiedenen Expertisen, das Memorandum als Stellungsnahme für eine andere Wirtschaftspolitik.