MEMORANDUM '17
Statt "Germany first": Alternativen für ein solidarisches Europa
Die Europäische Union steht am Scheideweg. Die Ursache liegt an der langjährigen, durch und durch neoliberalen Umverteilungspolitik zugunsten der Kapitaleinkünfte. "Die Massenarbeitslosigkeit wurde in Europa nicht beseitigt, sondern verschärft und die die Arbeit haben, sind in Europa millionenfach nur in prekären Beschäftigungsverhältnissen", stellt Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup fest. Die Armutsquoten steigen und die Rentensysteme sind nicht mehr sicher. Dafür zocken die Reichen an den Kapitalmärkten weiter, als hätte es nie eine Finanz- und Bankenkrise gegeben. Jetzt zeigt sich die regierende Politikklasse in Europa über den Zuwachs der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien erstaunt, die die Existenz der EU in Frage stellen.
Der BREXIT und die desaströsen Folgen der neoliberalen europäischen Politik lassen erkennen: Wir brauchen eine andere Europäische Union. Eine EU in Gestalt einer Gemeinschaft, die die aktuellen Herausforderungen zum gegenseitigen Vorteil lösen kann. Prof. Dr. Mechthild Schrooten hält dazu fest: "Der Nationalstaat ist nicht in der Lage, die globalen Probleme der Wirtschafts- und Finanzkrisen, des Klimawandels, der Sicherheitspolitik, der Migrationsbewegungen und des Terrorismus zu bewältigen. Die Welt braucht gerade nach dem Amtsantritt von Trump weniger Nationalstaat, sondern mehr europäische sowie internationale Kooperation."
Daher bietet auch eine Auflösung der Eurozone keine sinnvolle Perspektive. Für eine Rückkehr zu nationalen Währungen oder einem System anpassungsfähiger Wechselkurse (EWS II) werben die Anhängerinnen und Anhänger eines Euro-Ausstiegs vor allem mit zwei Argumenten: Die Staaten könnten anschließend ihre Währungen abwerten und so ihre Leistungsbilanzposition wieder verbessern. Sie könnten dann auch wieder stärker eine eigenständige Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben. Diese Argumente können jedoch nicht überzeugen. Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup erläutert: "Auch in einem System anpassungsfähiger Wechselkurse wird eine Abwertung nur dann die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes verbessern, wenn sie zu einer längerfristigen Reallohnsenkung führt und entsprechende Exportgüter produziert werden." Eine Abwertung der Währung ist also nicht der sanfte, "schmerzfreie" Weg, sondern es ist lediglich der "subtilere", aber nicht weniger einschneidende Weg der Anpassung.
Dass Deutschland relativ gut durch die europäische Krise in den letzten Jahren kam, liegt überwiegend an den Exportüberschüssen. Hochwertige Produkte, eine gesamtwirtschaftliche reale Lohnentwicklung unterhalb der Produktivitätsraten und der Aufbau verlängerter Werkbänke mit niedrigen Löhnen in Osteuropa waren die Erfolgsrezepte. "’Germany first’ ist so seit Langem das implizite Motto der deutschen Wirtschaft" stellt Prof. Dr. Mechthild Schrooten fest. Dies ist aber kein ökonomisch rationales Entwicklungsmodell für ein solidarisches Europa. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik hat dies schon immer gesagt. Jetzt stellt es selbst die neoliberal ausgerichtete EU-Kommission, die OECD und der IWF fest. Auch die US-Administration unter Obama und Trump kritisieren Deutschland zu Recht für seine aggressive Exportpolitik. Das einhellige Credo lautet: Die Bundesrepublik müsse endlich über mehr private und staatliche Investitionen und zumindest verteilungsneutrale Lohnsteigerungen die Binnennachfrage stärken, um so über wachsende Importe die Exportüberschüsse zu beschneiden. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik fordert auch dies seit vielen Jahren ohne aber in der deutschen regierenden Politik Gehör gefunden zu haben.
Von der deutschen Politik erwartet die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik daher zum wiederholten Mal eine radikale Änderung ihres Kurses. Nicht Austeritätspolitik und eine "schwarze Null" im Haushalt führen zu einer verbesserten Situation, sondern nur umfassende und zielorientierte Investitions- und Ausgabenprogramme lassen die Wirtschaft gesunden. Dies muss kurzfristig durch Staatsverschuldung und mittelfristig durch eine andere Steuerpolitik finanziert werden, die endlich die Vermögenden und Besserverdienenden höher belastet und die mittleren und unteren Einkommensbezieher entlastet. "Der öffentliche Dienst darf nicht noch mehr schrumpfen, sondern muss auch zur tragenden Säule des Sozialstaats ausgebaut werden", fordert Mechthild Schrooten. Die nachwievor bestehende Massenarbeitslosigkeit und die prekären Beschäftigungsverhältnisse müssen durch neue Regulierungen auf den Arbeitsmärkten und durch eine kollektive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor bekämpft werden. Das Rentensystem ist wieder auf ein Umlagesystem umzustellen. "Die Riesterrente, mit ihrer Kapitaldeckung, hätte nie eingeführt werden dürfen", sagt Heinz-J. Bontrup.