Europäische Zentralbank: Entschlossener Ausstieg aus der Zinswende
Am Donnerstag, dem 11. 4. 2024 verkündet die Präsidentin der Europäischen Zentralbank die geldpolitischen Beschlüsse des Rates. Mit einem entschiedenen Ausstieg aus der Zinswende ist (noch) nicht zu rechnen.
In diesem Beitrag werden Gründe genannt, den Pfad aus der derzeit gesamtwirtschaftlich restriktiv wirkenden Geldpolitik der EZB - allerdings ohne bedeutsamen Einfluss auf die durch die Energiepreise verursachte Inflation - einzuschlagen.
Europäische Zentralbank: Entschlossener Ausstieg aus der Zinswende
Die Inflationsraten im Euroraum, insbesondere auch in Deutschland sinken von Monat zu Monat. In Deutschland wird seit dem Spitzenwert mit knapp 7 Prozent 2023 in diesem Jahr mit 2,3 und für 2025 nur noch mit 1,8 Prozent gerechnet. Die für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) relevante Inflationsrate im Euroraum mit 20 Mitgliedsstaaten wird im kommenden Jahr auf die für eine stabile Wachstumsentwicklung förderliche Zielinflationsrate von 2 Prozent zurückkehren. Die Operation Zinswende der EZB scheint geglückt. Der Leitzins, zu dem sich die Geschäftsbanken gegen ein Pfand befristet Geld ausleihen und der seit September 2022 innerhalb von praktisch zwölf Monaten mit zehn Schritten angehoben worden ist, liegt derzeit bei 4,5 Prozent.
Auf den ersten Blick fällt auf, dass parallel zur Zinswende die Kurve der Inflation nach unten zeigt. Dieses Nebeneinander von sinkender Inflation und Zinswende nimmt die EZB zum Anlass, ihre Geldpolitik als Erfolg zu preisen. Derzeit bleibt nur noch das Misstrauen, ob diese Stabilität auch nachhaltig genug sei. So verkündet Joachim Nagel, Chef der Deutschen Bundesbank: Das „gierige Biest Inflation ist mittlerweile handzahm geworden“, aber die Gefahr einer wieder ausbrechenden Geldentwertung sei nicht gebannt. Auch der EZB-Präsidentin Christine Lagarde reichen die Daten noch nicht aus, die Inflation für beendet zu erklären. Denn die Sorgen der Stabilitätswächterin konzentrieren sich auf drohende inflationstreibende Tarifabschlüsse nach dem Muster Lohn-Preis-Spirale, aber auch auf die ausgabentreibenden Mitgliedsstaaten.
Was ist von dieser Deutung erfolgreicher Geldpolitik zu halten? Im Klartext: Dieser von der EZB beschworene Erfolg „Leitzinsen nach oben, Inflation nach unten“ samt den verbleibenden Rückfallrisiken entpuppt sich als ein typisch monetaristischer Trugschluss: Getreu der Doktrin von Milton Friedmann kann es Inflation nur geben, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage das durch die Produktionskapazitäten limitierte, gewinnrentable Angebot übersteigt. Und die Schuldigen dieser Nachfrageüberschuss-Inflation sind gegenüber den selbstheilungsfähigen Marktkräften schnell gefunden. Auch derzeit seien es die Gewerkschaften, die eine inflationstreibende Lohnpolitik durchsetzen sowie trotz Schuldenbremse der ausgabenextensive Staat beispielsweise in Deutschland.
Zweifellos ist es gut so, dass die Inflation seit Anfang 2023 Monat für Monat deutlich geschrumpft ist. Das hat aber kaum etwas mit der die inländische Nachfrage drosselnden Geldpolitik zu tun. Es sind die rückläufigen Energiepreise sowie die Nahrungsmittelpreise - mit ihrem Anteil von über 70 Prozent an der Inflationsrate -, die unbeeinflusst von der restriktiven Geldpolitik den kontinuierlichen Rückgang der Geldentwertung vorangetrieben haben. Im Kern handelt sich um eine importierte Angebotsinflation. Unmittelbar nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und die in der Folge dagegen gerichteten Importverbote für billiges Gas aus Russland zusammen mit anderen Energiepreisen treiben die Preise von der Erzeugung bis zum privaten Verbrauch nach oben. Später kamen steigende Nahrungsmittelpreise dazu. Aber auch marktmächtige Unternehmen haben per Gewinnmitnahmen durch Preisaufschläge die Inflation angetrieben. Erst infolge auch der erfolgreichen Politik des energiepolitischen Umbaus gingen die Energiepreise allerdings von einem hohen Niveau aus zurück und es folgte die sinkende Verbraucherpreisinflation. Christine Lagarde hatte leider nur zu Beginn der Energiepreisinflation die richtige Frage gestellt: Wie soll eine per Leitzinserhöhung durchgesetzte Verteuerung der Kredite bei Investoren zu einem Rückgang der importierten Energiepreise führen? Auch ist die viel zitierte derzeit langsamer sinkende Kerninflationsrate kein Beleg für eine Überschussnachfrage-Inflation. Denn auf die Produkte außerhalb der Energie und Lebensmittel für private Haushalte sind die importierten Angebotspreise durch die Erzeuger überwälzt worden.
Die Zinswende im Kampf gegen die Inflation ist also keine Erfolgsstory. Darüber kann die Gleichläufigkeit der geldpolitischen Maßnahmen und der bald einsetzende Inflationsrückgang nicht hinwegtäuschen. „Erfolge“ erreicht die EZB in einem ganz anderen Bereich: Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ist durch die Verteuerung der Kreditkosten vor allem in der investierenden Wirtschaft geschrumpft. Im soeben veröffentlichten Frühjahrsgutachten wirtschaftswissenschaftlicher Institute ist die Rede von einem verschärften Restriktionskurs. Die Verluste an wirtschaftlichem Wachstum durch die Zinswende werden mit bis zu einem Prozentpunkt geschätzt. Auftragsverluste in der Bau- und hier insbesondere der Wohnungswirtschaft durch steigende Kreditkosten sind unübersehbar. Vor allem Unternehmen, die in den ökologischen Umbau investieren, werden durch die hohen Kreditkosten gebremst. In Deutschland schwächt die restriktive Geldpolitik zusammen mit der investitionshemmenden Schuldenbremse in der Finanzpolitik die Wachstumskräfte. Profiteure sind die meisten Banken, die ihre Gewinne über die ausgeweitete Zinsspanne aus höheren Zinsen für die Kreditvergabe gegenüber spärlich weitergegebenen Zinsen auf die Einlagen der Kunden deutlich steigern konnten.
Das Fazit: Es gibt zwei Gründe, unverzüglich aus der Zinswende auszusteigen. Einerseits ist die Erfolglosigkeit dieser Geldpolitik, die sich auf die Überschussnachfrage statt importierter Angebotsinflation konzentriert, unbestreitbar. Andererseits muss der dadurch erzeugte Preis „Wirtschaftsschrumpfung“ durch hohe Kreditzinsen vermieden werden. Sowie die Zinswende ab Ende Juli 2022 durch Leitzinserhöhungen in zehn Schritten praktisch in einem Jahr umgesetzt worden ist, sollte auch die Rückkehr zur geldpolitischen Vernunft in einer schnellen Folge sinkender Leitzinsen realisiert werden. Für die kommende EZB-Ratssitzung gilt der Rat: Einstieg in den Ausstieg aus der Zinswende durch die Vorgabe eines Pfades. Zur Begründung sollte die EZB eine schonungslose Analyse der wahren Inflationstreiber vorlegen und die die künftige Rolle der Zentralbankpolitik im Zeitalter des sozial-ökologischen Umbaus präzisieren.