Axel Troost, unser Memo-Kopf ist nicht mehr unter uns!
Rudolf Hickel, Nachruf auf den wissenschaftlich fundierten linken Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit
Axel Troost hat den Kampf gegen eine heimtückische Krankheit nicht gewonnen. Im wahrsten Sinne des Wortes ist er mitten aus der wissenschaftlichen und politischen Arbeit herausgerissen worden. Noch vom Krankenbett aus hatte er sein neues Buchprojekt über die Kippeffekte der Gesellschaft und hier insbesondere über das soziale Gift Inflation im Kopf. Auch war schon die Einladung der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ zur Arbeit am neuen „Memorandum 2023“ in der Ver.di-Bildungsstätte „Buntes Haus“ am Ende Januar fertig. Die substantielle Vorbereitung steht auch als Beispiel für sein begnadetes Organisationstalent. Immer an den Inhalten einer „Alternativen Wirtschaftspolitik“ ausgerichtet, hat er die Memo-Gruppe gegen alle Widrigkeiten seit 1981 zusammengehalten. Drei Mal im Jahr rief er die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ nach Sennestadt. Hinzu kam die jährliche Sommerschule, bei der die Memo-Positionen im Rahmen eines interaktiven Bildungsseminars aufgearbeitet wurden. Die Öffentlichkeitsarbeit für unser Produkt der sozial-ökonomischen Beratung wurde von ihm vorangetrieben. Der großartige Macher tauchte kaum in den Medien auf. Das war ein Beweis dafür, dass er nicht eitel, gar „mediengeil“ war. Seine Eitelkeit zeigt sich in der unglaublichen Hartnäckigkeit seiner Arbeit, mit denen er uns alle auf Trapp gehalten hat.
Aber die Memo-Gruppe reicht ihm für seine politische Arbeit nicht aus. Er wollte am Ende auch als erfolgreicher Abgeordneter der Partei DIE LINKE Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung nehmen. Dazu gehörte auch seine aktive Arbeit als Gründungsmitglied des „Institut soziale Moderne“, das einen breiteren Zugang vor allem zu gesellschaftspolitischen Themen sicherte.
Axel Troost war im besten Sinne ein moderner linker Polit-Ökonom, der ideologische Rechthaberei auch innerhalb der Linken verabscheut hat. Für ihn stand die kritische Aufklärung über die profitwirtschaftliche „Mainstream Economics“, die Rechtfertigungslehren über den scheinbar alternativlosen Kapitalismus verbreitet hat. Ihm ging es um eine Wissenschaft, die einer sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Wirtschaft dient. Als Wissenschaftler war ihm durchaus die Marxsche Analyse der kapitalistischen Gesellschaft mit dem systemischen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit wichtig. Er selbst hätte sich jedoch nie als Gralshüter des Post-Marxismus bezeichnet. Seine „Anatomie des Kapitalismus“ basierte im hier und heute der profitwirtschaftlich erzeugten Fehlentwicklungen. Er wandte er sich gegen die Naivität, heutige Erfordernisse eins zu eins aus teil erstarrten, marxistischen Grundwahrheiten abzuleiten. Gegen die Praxis gestanzter linker Gewissheiten hat er seine Theorie des Kapitalismus empirisch fundiert und den realen Verhältnissen angemessen selbständig weiterentwickelt. Dies verschaffte ihm eine wertvolle dialogische Offenheit, die im auch viel Anerkennung vom politischen Gegenüber eingebracht hat.
Wissenschaft als abgeschiedene Veranstaltung im universitären Elfenbeinturm hat er verpönt. Vielmehr ist sie nach Axels Grundüberzeugung verpflichtet, der gerechten und ökologisch verantwortlichen Gesellschaft zu dienen. Und dazu gehört auch sein entschiedenes politisches Engagement in den Untiefen des Alltags. Er war bei der Gründung der Wahlalternative „Arbeit & soziale Gerechtigkeit“ - zuerst in Bremen - dabei. Nach der Verschmelzung innerhalb der Partei „Die Linke“ übernahm er ein Bundestagsmandat (2005-2017 und 2021) und brachte seine hoch geschätzte Fachkompetenz im Finanzausschuss ein. Aber sein Parteiengagement reichte ihm nicht. Er verknüpfte sein Abgeordnetenmandat mit Aktivitäten in außerparlamentarischen Bewegungen. Neben seinem Engagement als Geschäftsführer der Memo-Gruppe war er auch als Manager kritischer wirtschaftswissenschaftlicher Beratung tätig. Dazu zählte die Gründung des „Progress-Instituts für Wirtschaftsforschung (PIW)“. Das PIW hat pionierhafte Studien auch zur Regionalpolitik vorgelegt – etwa zur Zukunft der maritimen Wirtschaft an der Nord- und Ostsee. Sein Engagement für die nach der deutschen Einigung erforderliche Wirtschaftsstrukturpolitik konzentrierte sich auf das „Büro für Strukturforschung“ in Rostock. Heute sind wissenschaftlich unterstützte Projekte zur Stärkung der ökologisch verantwortlichen Regionalwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern zu wirksam.
Wissenschaftlich und politisch wirksam hinterlässt Axel Troost bedeutsame Erkenntnisse und nachwirkende Erfolge:
- Bereits in seiner epochalen Dissertation über die ökonomisch-fiskalischen Grundlagen der Staatsverschuldung, die er 1982 aus Marburg an die Universität Bremen mitbrachte, hat er seiner Zeit weit voraus die Weichen der Kritik an der Schuldenbremse gestellt.
- An der Universität Bremen war er maßgeblich im Forschungsprojekt zur Reform des Finanzsystems des föderalen Bundesstaates aktiv. Dieses Thema griff er als Bundestagsabgeordneter in den Kommissionen „Föderalismusreform I und II“ zur verfassungsrechtlichen Umgestaltung der Finanzordnung wieder auf. Allerdings konnte er die Schuldenbremse, seiner Zeit als vorausschauender Mahner gegen den damals übermächtigen neoliberalen Zeitgeist nicht verhindern. Die heutigen Eiertänze um die Schuldenbremse herum, zu der jetzt die Sonderfonds gehören, hätten sich mit Axels finanzpolitischem Credo von der ökonomisch machbaren und ökologisch erforderlichen Nutzung öffentlicher Kreditaufnahme im Dienste der Zukunftsgestaltung erübrigt.
- Sein Einfluss auf die Umsetzung zumindest einiger Regulierungen auf den Finanzmärkten nach dem Beinahezusammenbruch des Finanzsystems (2008/2009) ist unbestreitbar. Als Mitglied im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages hat er sich für einen stärkeren Verbraucherschutz sowie die Bändigung der komplett unverantwortlich eingesetzten Macht der Banken eingesetzt. Hierzu bekam er viel Zustimmung von Kolleginnen und Kollegen vor allem aus der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen.
- Axel Troost hat seine wissenschaftliche Kompetenz und sein politisches Engagement auf ein sozial gerechtes und ökologisch nachhaltiges Europa konzentriert. Dafür steht sein Kampf um eine solidarische Währungsunion, der auch in vielen seiner Beiträge Niederschlag gefunden hat. Er hat sich persönlich gegen die Unterwerfung Griechenlands unter die neoliberale Politik der Troika zur Wehr gesetzt – dieser Dreieinigkeit von Europäische Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Kommission (EU). Als die durch die Austeritätspolitik von Wolfgang Schäuble ausgelöste Armut in Griechenland schreckliche Ausmaße angenommen hatte, war er mit Solidaraktionen vor Ort aktiv.
- In den letzten Monaten konzentrierte sich seine Arbeit auf die Ursachen und die sozial spalterische Wirkung der Inflation zu Lasten vor allem der Armen und unteren Einkommensbezieher. Während in der allgemeinen öffentlichen Debatte der importiere Angebotsschock über die Energiepreise betont wurde, hat er auch die monopolistische Preistreiberei kritisiert. Gegen das Szenario von der „Lohn-Preis-Spirale“ sprach er von der durch die Marktmachtunternehmen getriebenen „Preis-Preis-Spirale“ und damit dem neuen Typ einer „Gierflation“ (Greedflation für die in den USA während der jüngste Krise kassierten Monopolgewinne).
Axel Troost hat für seine Positionen mit unterschiedlichen Medien geworben. Eine Vielzahl von Publikationen sind in seiner Funktion als „Senior Fellow für Wirtschafts- und Europapolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) veröffentlicht worden. Hinzu kommen seine medialen Auftritte allerdings weniger in den inszenierten, streng vorsortierten Talkshows, sondern auf der Ebene der Vor-Ort-Initiativen. Auch in den durch die Corona-Krise verhinderten Präsenzveranstaltungen war er per Video-Übertragung in der Diskussion. Was jetzt schon fehlt, ist sein Newsletter an über eintausend Personen. Bei den sonst sehr schwer zugänglichen Texten, die der Newsletter anbot, wurden auch schon mal nur sehr eingeschränkt zugängliche Positionspapiere der Bundesregierung und Ministerien angeboten.
Axel Troost gehört zu der Spezies für eine moderne linke Polit-Ökonomie, die sich nicht zu schade sind, auch kleine Reformschritte zu wagen. Dies bewies er vor allem mit seinem Einfluss auf die reformierte Regulierung der Finanzmärkte. Ihn konnte der Vorwurf, das sei alles nur ein trostloser Inkrementalismus, der am Ende die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse stabilisiert, nicht erschüttern. Es ging ihm, wie es einmal Karl Marx zu den (kleinsten) Erfolgen der Lohnpolitik geschrieben hat „um den Sieg des Prinzips“. Dieser linke Pragmatismus hat jedoch nichts mit Opportunismus zu tun. Er erreichte damit auch eine Dialogfähigkeit zugunsten linker Positionen.
Oftmals kam die Frage auf, woher Axel Troost die unendliche Kraft für sein gigantisches Engagement für eine gerechte Gesellschaft ohne disziplinierende Machtkonzentration nimmt. Selbst wenn er mal poltern musste, Humanität und soziale Kompetenz prägten durch und durch seinen Charakter. Viele werden sich jetzt erinnern, dass er gerade denjenigen, die in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen wurden, geholfen hat. Seine Kraft schöpfte er aus seiner geliebten Familie, seiner Frau, seiner Tochter und seinem Sohn.
Axel Troost ist nicht mehr unter uns. Allerdings gilt dies nicht für sein Werk, das er uns hinterlassen hat. Und wie die vielen Trauerbekundungen und Nachrufe belegen, er war ein unverzichtbarer Netzwerker für den gesellschaftlichen Fortschritt.
Nicht nur die Linke in Deutschland kann von ihm, der seine Gegner im rationalen Diskurs respektiert hat, lernen. Insoweit war ein Unikat, eine einmalige Persönlichkeit. Er ist nicht ersetzbar. Aber mit ihm als unser überwältigendes Vorbild muss und will die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ in seinem Geiste die Arbeit für linke Wirtschaftspolitik fortsetzen.