Kritik Schuldenbremse von Anfang an – Pionier Axel Troost
Nachdem die Kritik an der Schuldenbremse unter dem Druck ihrer unübersehbaren Ausbremsung für die Zukunft an Breite gewinnt, ist der Rückblick unvermeidbar: Die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ hat seit dem Start der „Föderalismuskommission II“ im März 2007 die Schuldenbremse analytisch fundiert und empirisch abgesichert kritisiert. Plädiert wurde für die Beibehaltung der „goldenen Regel“, die die Kreditfinanzierung von Investitionen ermöglicht, damit jedoch den Einsatz für Konsumausgaben komplett ausschließt.
Axel Troost, großartiger Chefmanager der Arbeitsgruppe, hat als Abgeordneter für „Die Linke“ in der „Förderalismuskommision II“ und im „Finanzausschuss“ des Deutschen Bundestages unter Nutzung der Erkenntnisse der „functional finance“ mit deren Nestor R. A. Musgrave vor den Gefahren infolge des Verbots kreditfinanzierter Zukunftsinvestitionen gewarnt. Er war es auch, der die „außergewöhnlichen Notlagen“ als Grund für das Aussetzen der Schuldenbremse in die Grundgesetzänderung eingebracht hat. Nach der Etablierung der Schuldenbremse im Mai 2009 in der Verfassung hat die „Arbeitsgruppe“ auch auf der Basis ihrer vorangegangenen Analysen zu den Staatsschulden immer wieder diese Schuldenbremse, die die Handlungsfähigkeit des Staates ausbremst, kritisiert. Anfangs traf dafür die „Memo-Gruppe“ der Bannstrahl durch die übermächtige Mainstream-Finanzwissenschaft. Parteipolitisch waren es allerdings nicht nur die CDU/CSU und SPD in der Großen Koalition, sondern vor allem auch das „Bündnis 90/Die Grünen“, die aus der missverstandenen Sorge um die Erblast künftiger Generationen für das Verbot der Kreditfinanzierung beim Bund und den Ländern ziemlich aggressiv kämpften. Mittlerweile ist bei der SPD und den „Grünen“ eine finanzpolitische Zeitenwende zu erkennen. Beispielhaft dafür ist die Rede von Robert Habeck auf dem Parteitag von „Bündnis 90 /Die Grünen am 23. November 2023 in Karlsruhe. Sein glühendes Plädoyer für die goldene, nach seinen Worten eher grüne Regel stimmt mit der von Anfang an geübten Kritik der Memo-Gruppe an der Abschaffung des parlamentarischen Rechts, Kredite für öffentliche Infrastrukturinvestitionen einzusetzen, überein. Auch in der Wirtschaftswissenschaft setzt sich endlich finanzpolitische Vernunft durch. Dafür steht die kluge Argumentation von Michael Hüther vom „Institut der deutschen Wirtschaft“. Allerdings greift die Begründung, infolge der Klimakrise sei die Schuldenbremse „aus der Zeit gefallen“ zu kurz. Vielmehr offenbart sich heute besonders stark das von Anfang schädliche Verbot der Kreditfinanzierung von Zukunftsinvestitionen in alle Bereiche der Infrastruktur.
Auf die Geschichte der Schuldenbremse zurückblickend, lässt sich festhalten:
Es lohnt sich, die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ ernst zu nehmen.
Der Urteilsspruch durch das Bundesverfassungsgericht zu den vom Corona-Topf in den „Klima- und Transformationsfonds“ umgebuchten Kreditermächtigungen über 60 Mrd. € durfte nicht überraschen. Nicht der Spruch aus Karlsruhe, sondern das durch die CDU/CSU – SPD-Koalition unter vehementem Druck der GRÜNEN aus der Opposition gewollte Kreditverbot ist das Urproblem. Anstelle der zuvor praktizierten „goldenen Regel“ zur Finanzierung öffentlicher Investitionen durch öffentliche Kredite gilt seit 2009: Den Bundesländern ist der Einsatz von Neuschulden komplett verboten. Dem Bund wird nur noch ein Deckel für strukturelle Schulden mit 0,35 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (2022 sind das 13,5 Mrd. €) zugestanden. Immerhin ist vom Grundgedanken der gegen Konjunkturkrisen steuernden Finanzpolitik etwas übriggeblieben. Der Staat darf allerdings nur in Zeiten der konjunkturellen Krise kurzfristig kreditfinanziert intervenieren. Diese Beschränkung der Schuldenbremse im Ausmaß der Konjunkturkomponente sowie das grundsätzliche Verbot von öffentlichen Zukunftsinvestitionen offenbart das absehbar Elend mit der Schuldenbremse. Gegenüber den heutigen Herausforderungen durch die Mehrfachkrisen, überlagert von der Klimakrise, wirkt das Kreditverbot am Ende krisentreibend. Parlamenten ist das Recht genommen worden, über die Kreditfinanzierung öffentlicher Investitionen zu entscheiden. Davon betroffen sind Investitionen selbst in die Instandhaltung der Infrastruktur sowie in die Zukunft gerichtete Kreditprogramme wie für Bildung, Digitalisierung, Wohnungsbau und vor allem Klimaschutz. Diese Ausgaben alternativ über Steuererhöhungen und / oder Ausgabenkürzungen zu finanzieren, stößt an hochgradig gefährliche systemische Grenzen. Bei der Suche nach den Motiven für die Schuldenbremse rückt der populistischen Mythos in den Mittelpunkt: Nachfolgenden Generationen würde durch die heutigen Staatschulden eine unbewältigbare Erblast übereignet. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Mit den heute getätigten Investitionen in die Zukunft wird die Politik nachfolgenden Generationen durch die Schaffung nachhaltiger Vermögenssubstanz gerecht. Es sind die dadurch erzeugten modernen Produktionsverhältnisse, aus denen die nachfolgenden Generationen die Zinszahlungen und Tilgung für die Staatschulden erwirtschaften werden. Diese Politik der Generationengerechtigkeit ist alternativlos. Denn durch den Verzicht auf kreditfinanzierte Investitionen in die Zukunft würden zuerst die Reparaturkosten massiv steigen und am Ende wären die Klimaschäden nicht mehr reparierbar.
Die Finanzpolitik bewegt sich heute unter dem Regime der Schuldenbremse in dem Widerspruch, unverzichtbar Sinnvolles nicht tun zu können, weil die schädliche Entwicklungsbremse Kreditverbot dies verbietet. Aus dieser sich schon lange entfaltenden Not haben viele Bundesländer vor allem durch die Beanspruchung von Ausnahmen vom Kreditverbot auch durch mehrere Sonderfonds fieberhaft einen Ausweg gesucht. Die im Grundgesetz zugelassenen Ausnahmen für öffentliche Investitionen vor allem „außergewöhnlicher Notsituationen“ sind extensiv genutzt worden. Seit der Coronakrise, nachfolgend verstärkt durch neuen Krisenherde im Bereich Energie infolge des Ukraine-Kriegs, Klima, aber auch Globalisierung ist heute die Ausnahme von der Schuldenbremse eher die Regel. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht dieser teilweisen Schuldentrickserei ein Ende gesetzt. Die rote Karte für die Umwidmung von Mitteln aus dem Corona-Topf in den „Klima- und Transformationsfonds“ wirkt sich auf alle, mehrjährig angelegten, per Kredit finanzierte Investitionsprojekte aus. So trifft es auch den „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ mit seinen 200 Mrd. €, aus dem die Gas- und Strompreisbremse, aber auch Subvention für den Intel-Chip-Standort in Magdeburg, betroffen.
Aus diesem Chaos der Finanzpolitik durch die Schuldenbremse mit verheerenden Folgen für den sozial-ökologischen Umbau führt nur die Rückkehr zur zuvor geltenden “goldenen Regel“. Denn Kredite sind für öffentliche Investitionen in eine nachhaltige Zukunft unverzichtbar. Eine Zweitdrittelmehrheit für diese Grundgesetzänderung ist jedoch wegen des Ampelpartners FDP sowie dem machtpolitischen Interesse der CDU/CSU, die Ampel-Regierung zu stürzen, nicht in Sicht. Unterhalb der Verfassungsänderung bietet sich folgende Vorgehensweise an: Erklärt wird die Haushaltsnotlage, zu der auch das Bundesverfassungsgericht mit seinem 60 Mrd. €-Urteil beigetragen hat. Der geplante Nachtragshaushalt für 2023 folgt dieser Überlegung. Da sich an der Notlage wenig ändern wird, sollte auch 2024 das öffentliche Kreditverbot ausgesetzt werden.
Aber auch das das Bundesverfassungsgericht sollte klarstellen: Der anhaltende Klimanotstand begründet als „außerordentliche Notlage“ die ausgesetzte Schuldenbremse für verfassungskonform. Die Begründung haben die Wächter des Grundgesetzes mit ihrem Urteil vom März 2021 bereits geliefert: Wenn die heutige Generation eine „mildere Reduktionslast“ beim CO2-Verbrauch zu Lasten der nachfolgenden Generationen trägt, dann sind die dadurch erzeugten „Freiheitseinbußen“ infolge von Klimaschäden zu Lasten nachfolgender Generationen verfassungswidrig. Diese Generationsgerechtigkeit im Verfassungsrang steht gegen die populistische Propaganda von den nachfolgenden Generationen vererbten Schuldenlast.