19.09.2019
Axel Troost und Rainald Ötsch

CO2-Preis: Weder Superheld noch Superschurke

Zur Einordnung eines sinnvollen Klimaschutzinstruments

Kurzfassung 

Aus Klimaschutzgründen müssen die weltweiten Emissionen in den nächsten Jahrzehnten auf Nettonull reduziert werden. Es ist klar, dass dafür isolierte Maßnahmen nicht ausreichen werden. Stattdessen muss ein breiter Instrumentenmix zum Einsatz kommen mit Maßnahmen, die sich ergänzen und sogar überschneiden.

Eine CO2-Steuer oder -Abgabe kann in einem Mix von Klimaschutzmaßnahmen flankierenden Charakter haben. Ja, Preissteuerung wird von vielen Ökonom*innen überschätzt und Verbrauchsteuern wirken regressiv, aber Letzteres kann durch einen Öko-Bonus korrigiert und durch ein Mobilitätsgeld, Härtefallregeln und andere Maßnahmen ausbalanciert werden. Gleichwohl stellt sich die Frage: Wenn die Steuer lediglich flankierenden Charakter hat und Ge- und Verbote, Förderprogramme und der Ausbau neuer Energieinfrastrukturen viel zentraler sind – ist sie dann nicht ganz entbehrlich?

Auch wenn die meisten Menschen nicht jede ihrer Handlungen genau durchkalkulieren, bei Kaufentscheidungen spielen Preise eine wichtige Rolle. Aus ökologischer Sicht ist das Preissystem, das im Zentrum wirtschaftlicher Aktivitäten steht, systematisch verzerrt. Obwohl sich schon jetzt immense Schäden durch Klimawandel abzeichnen, sind diese Schäden in den Sektoren Wärme, Verkehr und Landwirtschaft nicht und in den Sektoren Strom und Industrie nur ansatzweise über den – keineswegs funktionierenden – Emissionshandel (das EU-ETS) in den Preisen erfasst. Wird diese Schieflage nicht beseitigt, hat jedes klimaschädliche Produkt einen unfairen Vorteil gegenüber einem klimafreundlichen.

Es ist unwahrscheinlich, dass Klimapolitik mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen so vorausschauend sein wird, dass keine Lücken, Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten auftreten. Die Gefahr, dass Gesetzeslücken ausgenutzt werden oder Fehlanreize gesetzt werden, wird durch einen CO2-Preis als Haltelinie zwar nicht gebannt, aber reduziert. Dazu kommt, dass niemand genau weiß, welche Technologie in zehn oder zwanzig Jahren welchen Beitrag zum Klimaschutz bringen kann. Der Staat kommt zwar nicht darum herum, mit Infrastrukturentscheidungen, Förderinstrumenten und konkreten Vorgaben eine Richtung vorzugeben. Dies ist aber schwierig, weil er alle möglichen Felder im Blick behalten muss und beim Versuch, das Tempo zu bestimmen, die Industrie, die viele Technologien letztlich bis zur Marktreife entwickeln muss, gegenüber der Politik einen Informationsvorsprung besitzt. Die CO2-Steuer als technologieoffenes Instrument wirkt dagegen graduell, unmittelbar und universell.

Die Schweiz und Schweden, die schon früh zu einer CO2-Besteuerung übergegangen sind und heute die höchsten Steuersätze haben, liefern einige Erfahrungswerte. Seit 1990 gibt es in der Schweiz eine CO2-Reduktion im Gebäudesektor um 25 Prozent. Laut Wirkungsabschätzung für die schweizerischen Behörden zeigte die CO2-Abgabe zuletzt eine deutlich größere CO2-Reduktionswirkung als andere Instrumente. In Schweden, dem Land mit dem aktuell höchsten CO2-Preis der Welt, konnten ebenfalls erhebliche Einsparungen erzielt werden: Nach Angaben des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) ist im Transportsektor der CO2-Ausstoß von 1990 bis 2005 durchschnittlich um sechs Prozent pro Jahr gesunken.

Eine generelle, auch ökologisch motivierte Überarbeitung des Steuer- und Abgabensystems ist längst überfällig. Die Industriestaaten haben ihren enormen Kapitalstock auf dem Rücken des Weltklimas aufgebaut und müssen sich zu ihrer Verantwortung für zukünftige Schäden bekennen. Mit Blick auf die historischen Emissionen ist eine Vermögensteuer, eine höhere Erbschaftsteuer oder eine andere Reichensteuer zur Finanzierung weltweiter Klimaschutzmaßnahmen angebracht. Das ändert nichts daran, dass eine CO2-Steuer auf alle zukünftigen Emissionen als explizite Sofortmaßnahme und als dauerhafte explizite oder implizite Steuer sinnvoll ist. Sie kann überfällige Maßnahmen wie den Ausbau von Schiene und Öffentlichem Personennahverkehr, eine höhere Lkw-Maut, das mittelfristige Verbot von Verbrennungsmotoren und anderes mehr zwar nicht ersetzen, wohl aber ergänzen.

Sozialer Ausgleich ist unerlässlich

Soll die CO2-Steuer Ungleichheiten nicht weiter vertiefen – oder wenn möglich sogar verringern –, braucht es einen sozialen Ausgleich. In der Schweiz beispielsweise sorgt das Modell der Rückerstattung für eine hohe Akzeptanz der Steuer. Dabei fließen zwei Drittel der Steuereinnahmen pro Kopf über die Krankenversicherung an die Bevölkerung und über die Sozialversicherung an die Unternehmen zurück. Das restliche Drittel geht in ein Gebäudeprogramm zur Förderung energetischer Sanierungen und erneuerbarer Energien. Tatsächlich gibt es viele weitere Vorschläge, wie Verbraucher*innen im Gegenzug für die ökologisch motivierte Bepreisung entlastet werden können. Das reicht von fixen Pro-Kopf-Zahlungen («Klima-Prämie») über Entlastungen bei der Stromsteuer und anderen Steuern, Abgaben oder Umlagen.

Diverse Rechnungen für Rückerstattungsmodelle kommen einhellig zum Ergebnis, dass Geringverdienende in allen Modellen die Gewinner*innen sind. Eine Nettobelastung erfolgt – abhängig vom konkreten Modell und der verwendeten Datenbasis – gemäß den unterschiedlichen Abschätzungen erst ab dem fünften bis neunten Einkommensdezil. Die Rückverteilung der Einnahmen («Öko-Bonus») macht damit eine regressiv wirkende Verbrauchsteuer, die ärmere Haushalte überproportional belastet, zu einer progressiv wirkenden Maßnahme. Solange der Großteil des Aufkommens direkt zurückverteilt wird, werden ärmere Haushalte sogar umso besser gestellt, je höher der Abgabensatz ist. Denn je mehr Geld im Rückverteilungstopf landet, desto mehr Geld bekommen die Haushalte wieder zurück.

Allerdings sind innerhalb der Einkommensgruppen speziell Pendler*innen sowie Menschen, die in schlecht sanierten Altbauten mit Ölheizungen leben, spürbar stärker belastet. Auch diese Verteilungswirkungen müssen (und können) beim Design der Steuer bedacht werden, etwa indem die Pendlerpauschale in ein einkommensunabhängiges Mobilitätsgeld umgewandelt wird, der Heizkesseltausch mit einer Abwrackprämie belohnt oder das Wohngeld angepasst wird. Denkbar ist auch ein Härtefallfonds. In der Grundsicherung müssen die zusätzlichen finanziellen Belastungen bei der Übernahme der Kosten der Unterkunft berücksichtigt werden. Solange der Öko-Bonus nicht auf die Grundsicherung angerechnet wird, wären diese Haushalte aber ohnehin klar bessergestellt. Dies zeigt: Die Feinsteuerung ist nicht trivial, kann aber sogar zu positiven sozialpolitischen Nebenwirkungen führen.

Emissionshandel ist gescheitert, aber ...

In den Sektoren Strom und Industrie findet die Bepreisung bereits über den europäischen Emissionshandel statt, welcher etwa die Hälfte der deutschen Treibhausgasemissionen erfasst. Der Emissionshandel ist bisher gescheitert. Das liegt nicht nur am zwischenzeitlichen Preisverfall, sondern auch an generell unvorhersehbaren Preisen, die Klimaschutzinvestitionen verhindern. Aber: Da die Zeit drängt und eine EU-weite CO2-Steuer an der dafür erforderlichen Einstimmigkeit scheitern wird, während der Emissionshandel mit Mehrheitsentscheidungen verschärft werden kann, sollte für die Sektoren Strom und Industrie an einem reformierten Emissionshandel mitsamt eines Mindestpreises und ambitionierteren Minderungspfaden festgehalten werden.

Da entsprechende Reformen durch den EU-Gesetzgebungsprozess einen Zeitraum von mehreren Jahren beanspruchen werden, muss schon vorher auf nationaler Ebene gehandelt werden. Einige Staaten erheben inzwischen eine ergänzende nationale CO2-Steuer im Stromsektor oder erwägen dies. Entsprechend sollte Deutschland gemeinsam mit den Staaten, die dazu bereit sind (wie Frankreich, Dänemark und die Niederlande), kurzfristig eine Steuer einführen, welche eine Mindestbepreisung innerhalb des EU-ETS sicherstellt.

Ordnungsrechtliche Maßnahmen sind unverzichtbar

Um sämtliche Einsparpotenziale zu heben, ist ein CO2-Preis kein geeignetes Instrument. Dazu müssen diverse Umsetzungshindernisse anders beseitigt werden, etwa durch kostenlose Energieberatung, Ordnungspolitik, Förderkredite etc. Auch ein Tempolimit auf Autobahnen gehört zu den Maßnahmen, die sich ökonomisch betrachtet sofort rechnen würden, aber staatliches Handeln erfordern. Andere Beispiele finden sich bei Energieeffizienzmaßnahmen (Vorgaben für effizientere Motoren, Austausch von Pumpen etc.). Die Durchsetzung ordnungsrechtlicher Maßnahmen mit konsequenten Grenzwerten für Abgas- und PS-Begrenzung sowie eine Ressourcenbilanz vollständiger Produktzyklen (Elektromobilität!) sind unverzichtbar. Ordnungsrecht ist in diesem Zusammenhang nicht im Sinne von Verboten, sondern als Freiheitsgewinn für alle zu begreifen – als Möglichkeit, die dazu beiträgt, überhaupt die Lebensgrundlagen für alle zu erhalten. Hinzutreten müssen massive Investitionen in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, für weitgehend autofreie Innenstädte und für einen Strukturwandel der Automobilindustrie.

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